Flüssiges Japan - Trinkkultur im Land der aufgehenden Sonne

Dass Japan eine Vielzahl an Köstlichkeiten für die Barszene zu bieten hat, bewiesen bereits einige japanische Aussteller des vergangenen BCB 2021. Aber was macht das Land und seine Trinkkultur noch so einzigartig?

Faszinierende Kontraste

Kamapai bedeutet Prost! Japanische Traditionen sind geprägt von präzisem Handwerk, fulminanter Ästhetik und konsequenter Disziplin. Neben dem Bewusstsein für Herkunft und Klassik baut Japan stets die Brücke zur Innovation. Kaum ein Land fasziniert so sehr durch diesen Kontrastreichtum. Auf den Straßen Tokyos kann es passieren, dass man eben in der Seitengasse einen Sumo-Ringer erspähte und dann im nächsten Geschäft von einem Roboter bedient wird. In Kyoto parken die modernsten Limousinen vor diskreten Privatrestaurants mit Hightech-Klobrillen, während am Uferweg die weiß geschminkten Geishas (die hier Geiko genannt werden) und Meikos entlang trippeln.

 

Japan bietet unzählige Köstlichkeiten

Tradition und Innovation lassen sich auch im japanischen Getränkekosmos verspüren. Wir sollten mehr japanische Köstlichkeiten trinken. Eine Aufforderung, die auch der Bar Convent Berlin im vergangenen Herbst anregte. Der Japan Pavillon in Halle 20 sollte dazu anregen, jene flüssige Vielfalt aus dem Fernen Osten zu verkosten. Leider waren einige Warenpakete reisetechnisch verzögert, sodass die Verkostungsmengen zum Bedauern vieler nicht so groß wie geplant ausfielen. Glücklicherweise konnten einige Importeure, wie die Aussteller von Ginza Berlin (ginza-berlin.com) mit Expertise und Produktvielfalt einspringen und die Bandbreite von Sake über Gin bis Awamori und Whisky abdecken.

 

Die Philosophie Hidetsugu Uenos

Doch die hiesige Barszene blickt bereits geraume Zeit gebannt auf die japanischen Produkte und Entwicklungen. Ein willkommener Gast in westlichen Sphären ist beispielsweise Hidetsugu Ueno, der in Tokyo die „High Five“ Bar betreibt und bescheiden seine Bekanntheit im Westen damit erklärt, dass er eben lieber Englisch spräche, als manche Kollegen daheim. Bei seinen Vorträgen erläutert er gerne seine Philosophie: „Der Gast soll die Mühe und Anstrengung, dessen Ergebnis er im Glas sieht und schmeckt, dem Bartender nicht anmerken.“ Auch wieder so eine bescheidene Aussage. Wer ihn in seiner Bar besucht und die Leichtigkeit beobachtet, mit der er in Windeseile eine Eiskugel schnitzt, ahnt durchaus die Mühe seines Bartendings.

 

Der Japanese Hardshake

Gerne verweist er auf eines seiner Vorbilder: Kazuo Uyeda. Dieser prägte die Schütteltechnik des „Japanese Hardshake“. Hierbei wird der Drink sehr kalt und durch den Druck zudem intensiv mit Luft durchdrungen. Die Idee ist, dass dies eine erweiterte Aromatik und Textur erzeugt. Der Shaker wird dabei mit unterschiedlicher Geschwindigkeit waagerecht nach vorne und hinten bewegt, ähnlich einer Peitsche. Dabei dreht der Bartender beständig den Shaker, damit das Eis immer wieder an das Metall stößt. Dabei werden kleine Splitter abgesondert. Auf dem Drink entsteht eine zarte Eissplitter-Schicht, die das Mundgefühl des Drinks stimuliert. In Europa versucht man diesen Effekt oft zu vermeiden, weswegen hier oft mit einem Double- und Fine-Strain jegliche Teilchen vom Gastglas ferngehalten werden sollen.

 

Stilvoller Einsatz von Barwerkzeugen

Typisch für die japanische Barszene sind zudem elegante Barwerkzeuge und eine ausgefeilte Präsentation. Prächtig insbesondere die Gen Yamamoto Bar, nicht weit vom Tokyo Tower, die einen köstlichen Menü Ablauf kuratiert und unvergesslich präsentiert.

Es fällt auf, dass in Japan viel öfter mit dem dreiteiligen Shaker gearbeitet wird, als hierzulande.

 

Japanische Bier und Wein-Szene wächst

Spricht man von Brauen in Japan, denken alle zunächst unvermeidlich an Sake. Doch die Bier-Szene Japans entwickelte sich in den vergangenen Jahren immens und die Craft-Brauer setzen den leichten Lagerbieren wertige Ales und insbesondere köstliche Wit (oder „White“) Biere entgegen. Auf dem BCB konnte man sich mit den Erzeugnissen von „Far Yeast Brewing“, „Kagua“ und „Ise Kadoya“ davon überzeugen.

Selbst der Weinanbau wird eifrig vorangetrieben, vornehmlich in der Region um Osaka. Die Produktion lag nach Datenlage von 2019 bei 22 Millionen Flaschen jährlich.

 

Begeisterung für Shōchū in der Barbranche nimmt zu

In Europa entdecken Bartender zunehmend die Faszination von Shōchū. Das Destillat wird aus fermentierten Getreiden oder Kartoffeln gewonnen, denen Koji-Kulturen zugesetzt werden. Die zahlreichen regionalen Unterschiede sorgen für einen immense Vielfalt bei Rohstoffen, Alkoholgehalt und Aroma. Bekannt ist etwa der Awamori aus Okinawa, der aus Reis und einer eigenen Koji-Kultur hergestellt wird.

 

Faszination Tee

Tee als Barzutat wird in unseren Gefilden noch unterschätzt. Dabei ist es so facettenreich in Geschmack und Aroma. Von Bittere bis Blüte, von filigran bis erdig. Die Wertigkeit des japanischen Tees erkannte explizit der ausgewiesene Japan-Kenner Charles Schumann. Herrlich ist es, ihm zu lauschen, wenn er von seinen Japan-Erfahrungen und Bar-Momenten berichtet. Im vergangenen Jahr beschloss Schumann, seine Faszination an Tee auch nach Deutschland zu bringen und gründete mit „Schumann’s House“ eine köstliche Teemarke, die mit biologisch zertifizierten Teeblättern aus Kagoshima und von der Insel Yakushima im Süden Japans arbeitet. 

Pur ein Hochgenuss, aber womöglich auch Inspiration für manch neue Cocktailidee.

 

Segen und Fluch – Whisky

Spekulationsobjekt und hochpreisige Rarität. Whisky aus Japan ist gefragt und mittlerweile knapp. Viele milde Blends und junge Malts prägen derzeit das aktuelle Sortiment. Gereifte Single Malts werden stetig rarer. Wer ist schuld an der Misere? Zwei Murrays. Da wäre zum einen Bill Murray zu nennen. Im Film „Lost in Translation“ spielte er 2003 die Rolle des alternden US-Filmstars Bob Harris und bewirbt keine fiktive, sondern eine reale Marke mit dem Slogan: "For relaxing times - make it Suntory time!"

Daneben müssen wir den zweiten Murray, mit Vornamen Jim, erwähnen. Der einflussreiche und zuletzt arg umstrittene Whisky-Autor Jim Murray erkor in der 2015er-Ausgabe seiner berüchtigten Whisky Bible den Yamazaki Single Malt Sherry Cask 2013 zum besten Whisky der Welt. Da begann der Run erst richtig.

 

Die 100 Prozent-Regel

Seit April 2021 gelten für japanischen Whisky neue Regeln. So muss ein japanischer Whisky seither zu 100 Prozent in Japan erzeugt und abgefüllt sein. Zuvor konnten importierte Destillate mit in den japanischen Whisky wandern. Nun ist das Produkt transparenter, aber eben auch mengenmäßig noch geringer bemessen.

 

Göttlicher Sake

Als Ursprung der japanischen Trinkkultur gilt nach wie vor der Sake. Dank einer wachsenden Zahl von japanischen Restaurants und engagierten Sake-Akteuren, insbesondere in Berlin, kommt das deutsche Publikum zunehmend mit der Vielfalt der gebrauten Spezialitäten in Berührung und lernt die Qualitäts-Kategorien und Sorten besser kennen.

 

Tradition trifft auf Poesie

Eine 1000-jährige Tradition liegt der Köstlichkeit zugrunde und mit Matsuo Sama ist eine eigene Gottheit für Sake zuständig. Immer mehr von Japans ca. 1.500 Sake-Brauereien widmen sich auch modernen Aromenvarianten und Designs.

Da möchte man nach dem dritten Sake Martini doch gleich die kürzeste aller Gedichtformen rezitieren, das Haiku mit drei Zeilen und nur wenigen Silben. So fordert uns der Dichter Matsuo Bashō (1644-1694) auf:

 

Komm, lass uns gehen

Schnee schauen, Sake trinken

Taumeln wie Flocken