Was in unserem Mund passiert
Zum einen wird in unserem Mundraum die Temperatur des Drinks (oder der Speise) verändert, ein kühler Wein oder Cocktail wird aufgewärmt und setzt dadurch mehr volatile Stoffe frei. Zum anderen reagieren Nahrungsmittel mit unserem Speichel. Dieser enthält Enzyme, Stoffe, die unser Körper bildet, um z.B. unseren Stoffwechsel zu regulieren. Enzyme spalten Moleküle und setzen so in unserem Mund Stoffe frei, die dann retronasal wahrgenommen werden können. Das Faszinierende dabei ist, dass die Zusammensetzung unseres Speichels komplett individuell ist. Sie ist genetisch bedingt und bei uns allen unterschiedlich. Das hat auch Auswirkungen auf unsere aromatische Wahrnehmung.
Der Grund für unterschiedliche Wahrnehmungen
2018 wurde zum Beispiel nachgewiesen, dass manche Menschen keinen Kohl mögen, weil Bestandteile ihres Speichels Schwefel freisetzen und unangenehm schmeckbar machen. Nicht nur im Speichel finden sich Variationen, auch wie ein und dasselbe Molekül in den olfaktorischen Rezeptoren der Riechschleimhaut wahrgenommen wird hängt von genetischen Faktoren ab. Das bekannteste Beispiel hierfür ist vermutlich das Aroma von Koriander, das von zahlreichen Menschen als seifig und unangenehm wahrgenommen wird. Die Wahrscheinlichkeit für solche genetischen Abweichungen häuft sich auch je nach Region. Während in den Ländern Südasiens 3-7% aller Einwohner Koriander meiden sind es in Ostasien ganze 21%. Diese Beispiele dürften nur die Spitze des Eisbergs sein.
„Blindheit” und Unterschiede in Intensität der Aromen möglich
Nicht nur abweichende Wahrnehmungen derselben Aromen sind möglich. Wir können sogar anosmisch, also komplett „blind” für sie sein. 1% der Weltbevölkerung kann das Aroma von Vanille nicht wahrnehmen. Theoretisch könnten alle möglichen Aromen davon betroffen sein, über 10.000 können von Menschen wahrgenommen werden. Es ist durchaus denkbar, dass viele von uns anosmisch auf etwas Bestimmtes reagieren, und es nie herausfinden, weil man nicht weiß, was fehlt.
Es sind auch Unterschiede in der Intensität der Wahrnehmung möglich. Während eine Person ein bestimmtes Aroma als sehr intensiv empfindet kann der Andere es kaum wahrnehmen.
Supertaster und Non-Taster
Im Zusammenhang mit der Intensität von Aromen wären da noch Supertaster und Non-Taster zu erwähnen. Beide Gruppen machen grob 25% der Weltbevölkerung aus, dazwischen sind 50% aller Menschen durchschnittliche Verkoster. Supertaster haben wesentlich mehr Rezeptoren auf ihrer Zunge und sind damit sensibler für Geschmäcker. Vor allem Bitteres kann für sie kräftiger und unangenehm schmecken, aber auch Tannine oder Säure werden zum Beispiel bei Weinproben intensiver wahrgenommen. Supertaster mögen häufig keine fettige Nahrung und meiden Zuckerreiches. Sie wiegen im Schnitt weniger, sind wählerische Esser, konsumieren weniger Alkohol als Non-Taster und haben häufig eine Aversion gegen Lebensmittel wie Kaffee, Grapefruit oder dunkle Schokolade. Ihre Geschmackswahrnehmung verhält sich zu der von Non-Tastern etwa wie Neonfarben zu Pastell.
Verteilung Supertaster und Non-Taster
Die statistische Verteilung von Supertastern ist stark an Herkunft und Geschlecht gebunden. Frauen sind doppelt so häufig Supertaster wie Männer. Menschen aus Asien oder Afrika wesentlich häufiger als Menschen europäischer Herkunft. Non-Taster sind dagegen am häufigsten weiße Männer. Der eigene Status lässt sich mit einem einfachen Test überprüfen, der online zu finden ist.
Was tun, falls man sich als Non-Taster identifiziert und an der Bar arbeitet?
Zuerst einmal Ruhe bewahren, denn Geschmack ist nur ein Teil der Aromen Wahrnehmung. Und doch ist er für Bartender, die à la minute mit Süße-Säure Balancen und bitteren Zutaten arbeiten, nicht gerade unrelevant. In jedem Fall lohnt es sich ein diverses Team einzustellen und Rezepturen gemeinsam zu entwickeln oder zu verkosten. Dabei sollte jede Kritik angenommen und ernstgenommen werden. Auch ein sehr erfahrener Kollege kann sich seine möglichen sensorischen Einschränkungen nicht einfach wegtrainieren. Da ist die Meinung eines Servicemitarbeiters oder Gasts ebenso viel Wert wie seine und sollte auch so behandelt werden.
„Der wichtigste Gaumen ist immer der unserer Gäste”
Beim Blick in den Gastraum lohnt es sich, eine gute Servicestrategie für Empfehlungen und Beschwerden zu entwickeln. Geschmack ist subjektiv. Verletzter Bartenderstolz ist also Fehl am Platz, wenn ein Drink mal zurück geht, ebenso Kommentare zu Sonderwünschen und Präferenzen. Der Gast an der Bar hat gerade einen Negroni zurückgeschickt, weil er zu kräftig und zu bitter sei? Obacht, es besteht eine gute Chance, dass diese Person besser schmecken kann, als man selbst. Mit etwas Empathie und Fingerspitzengefühl wird ihr die zweite Runde besser schmecken. Der wichtigste Gaumen ist immer der unserer Gäste. Wir leben in verschiedenen Geschmackswelten. Einerseits verkompliziert das unseren Job, andererseits macht uns das Wissen darum zu besseren Bartendern.