„Meine Barkeeper kochen 50 Prozent ihrer Arbeitszeit“

© Jan-Peter Wulf

Das „Kopps“ ist eine der Top-Adressen für vegane Küche in Berlin. Doch es macht sich auch immer mehr als Bar einen Namen – und auch die Speisenbegleitung mit und ohne Alkohol, hergestellt zu einem hohen Anteil aus selbstgemachten Getränken, legt die Qualitätslatte hoch. Jan-Peter Wulf hat sich zu Barchef Jannick Stillger an den Tresen gesetzt. 

Wie wunderbar die Getränkebegleitung im Bar-Restaurant „Kopps“ eine Speise aromatisch in die eine oder in die andere Richtung „schubst“ und wie aufwändig sie zugleich gemacht ist, zeigt sich ganz besonders am Ende unseres Besuchs: Hinter der Speise aus Heidelbeeren mit Shiitake-Pilzen, Moltebeere, Sesam und Schokolade stehen zwei Champagnerflöten. Einmal gefüllt mit der alkoholischen Begleitung und einmal mit der alkoholfreien. Die „ohne“ prickelt süß-säuerlich, zusammen mit der Speise ergibt sich ein belebendes, fast erfrischendes Ensemble im Mund. Die „mit“ wiederum rahmt das fruchtig-herzhafte Gericht ein. Einmal korrespondierend-ergänzend, einmal unterstreichend. Jamaikanischer Rum, Waldheidelbeere aus reinem Muttersaft, Salzkaramell, ein Schuss Bio-Cola, zwei Sorten Kräuterbitter und ein fermentierter Milkpunch bilden das komplexe speisenbegleitende Getränk mit Alkohol. Der fermentierte Milkpunch kommt auch in der alkoholfreien Variante zum Einsatz. 

Barchef Jannick Stillger (links) und Commis de Bar Julian Speiser-Helfert 

© Jan-Peter Wulf

 

Kleine Betriebsgeheimnisse

„Auf den sind wir schon ein bisschen stolz, der ist eine Eigenentwicklung“, erklärt Barchef Jannick Stillger. Orange und Aprikose werden mit Pflanzenmilch auf Sojabasis geklärt und anschließend zwei Wochen gelagert, währenddessen fermentiert die Flüssigkeit mittels eines hauseigenen Mutterferments, bis sich ein schmackhaftes und intensives Gärgetränk gebildet hat. Wie genau das funktioniert, bleibe Betriebsgeheimnis, fügt Stillger schmunzelnd hinzu.

Kraftvoller Aperitif von der Barkarte: Forrest mit in Moos infusioniertem Junmai-Sake, Fichtensprossen-Geist, Amontillado-Sherry und Kastaniensirup 

© Jan-Peter Wulf

Weinschönung fürs Getränk „ohne“ 

Auch die Begleitung des dritten der sieben Gänge, Topinambur mit Haselnuss, Weizen und Herbsttrompeten, veranschaulicht wie viel Know-how und Arbeit man hier ins Pairing investiert: Als alkoholische Begleitung kommt eine Scheurebe ins Glas, und in der alkoholfreien im Prinzip auch, nämlich nachgebaut. Einen sortenreinen Scheurebe-Traubensaft in Bio-Qualität verfeinert die Bar mit Rosmarin, Zitronenschale und Zimt – also Noten, die aus dem Wein deutlich herauszuschmecken sind. Doch nicht nur das: „Wir geben dem alkoholfreien Getränk auch eine Weinoptik“, so Stillger, „einen schönen Glanz, damit der Gast dieselbe Wertigkeit erhält.“ Dafür wird der Traubensaft erwärmt, mit Pektinase versetzt und in der Zentrifuge werden die Trübstoffe herausgedrückt.

Für den Scheurebe-Nachbau zum Topinambur kommt die Methode der Weinschönung zum Einsatz

© Kopps

Das Barteam kocht 

„Meine Barkeeper kochen 50 Prozent ihrer Arbeitszeit“, erklärt Stillger. Er sagt wirklich kochen, denn das ist es ja auch. Neben der Zentrifuge operiert das dreiköpfige Barteam u.a. mit dem Thermomix und anderen modernen Küchengeräten, um die teils sehr komplexen Getränke für die Begleitung sowie für die 14 Positionen umfassende Barkarte herzustellen. Wie die Köche steht das Barteam ab dem Mittag am Platz, um für den Abend vorzubereiten. Am Mittwoch, dem „Bar only“-Tag des „Kopps“, hat man das Küchenreich sogar fast ganz für sich. Man arbeite eng zusammen, tausche sich aus und ergänze sich. Bestätigt auch Küchenchef Benjamin Löttrich, der kurz aus seinem Reich auftaucht, um uns zu begrüßen und uns – wow – frischen Trüffel auf den Teller zu reiben. 

Küchenchef im Kopps: Benjamin Löttrich 

© Jan-Peter Wulf

Forecast und Foodparing

Aus der Küche kommt ein Forecast, welche Gerichte bald auf die Karte kommen (das passiert rollierend), basierend darauf entwickeln Stillger und Team die begleitenden Drinks. „Foodpairing ist ja praktisch eine Wissenschaft. So kannst du schon mal planen und aufschreiben, bevor du die Speise probiert hast, weil du weißt, welche Aromen passen.“ Am Ende gehe es dann nur noch um die Feinabstimmung – wie intensiv ist das Gericht, ist es würzig oder hat es eher feine Noten? Willst du mit ihm auf einer Ebene schwingen oder etwas Korrespondierendes erzeugen? Letzteres zeigt sich sehr gut beim alkoholfreien Getränk „zu Sellerie und Steinpilz“, wie es auf der Karte funktional heißt: Merlot-Traubensaft, Majoran und Sellerie kommen dafür zum Einsatz sowie „Barbecue“ (was genau sich dahinter verbirgt, wird wiederum nicht verraten). Die kräftige typische BBQ-Note, die man beim Trinken in der Nase hat, ergänzt die herzhafte Speise geradezu perfekt.  „Für mich ist es genau das Richtige. Handwerk am Limit!”, so Stillger. Er blicke dabei eher wenig auf das, was andere Restaurant-Bars in dieser Hinsicht machen, sondern vertraue vor allem den eigenen Skills und der Lust, Neues auszuprobieren. 

Aus der Küche an die Bar

Man muss an dieser Stelle offenlegen: Stillger bringt einen kleinen Heimvorteil, beziehungsweise ordentlich Vorwissen mit. Bevor er Bartender wurde, war er selbst Koch. Gelernt hat er den Beruf ab 2013 im Frankfurter Hotel „Roomers“, welches ja auch für seine ausgezeichnete Bar bekannt ist. Anschließend wechselte er ins „Moriki“ und war auch Mitglied der Jugendnationalmannschaft der Köche. 2017 kam er mit der Gekko Group, die u.a. das „Roomers“ und das „Moriki“ betreibt, nach Berlin – in deren neues Projekt „Provocateur“ als kochender Werkstudent, parallel zu seinem Selbststudium der BWL mit Schwerpunkt Gastgewerbe. 

Fast 50 Prozent bestellen die Begleitung alkoholfrei

„Im Provocateur haben wir zu den Cocktails ein kleines Foodpairing gereicht, da kam ich das erste Mal damit in Berührung“, erinnert er sich. Und nach einigen Monaten wechselte er die Seiten, aus der Küche des Hotel-Restaurants „Golden Phoenix“ ging es an die Bar des Charlottenburger Hotels. Mit dem Wechsel ins „Kopps“ vor rund zweieinhalb Jahren stellte er auch die Weichen für die beiden Getränkebegleitungen des Menüs mit, das es seitdem ausschließlich gibt. „Und Alkoholfreies ist dabei für mich zu einem echten Steckenpferd geworden“, so Stillger. Und mittlerweile liege man bei der Wahl der Begleitung fast schon bei Fifty-Fifty.

Alkoholfreier Drink mit Thanksgiving-Flavour zum Kürbis: Cranberry, Orange und Ingwer 

© Jan-Peter Wulf

Rechnet sich das?

Doch lohnt, sprich rechnet sich all die Mühe, die man sich hier mit den begleitenden Getränken macht? Neben oben genannten wären ein à la minute zu einer Art Cappuccino aufgeschäumter, warmer Mix aus Blumenkohl, Hafer, weißem Trüffel und Muskat zur Kartoffel mit Holunderkraut und „Kaviar des Feldes“ oder ein alkoholfreier Cocktail aus Jujube (chinesischer roter Dattel), Assam, Verjus und „Bubble Tea“-Perlen aus pflanzlichem Kaviar weitere Beispiele für den zeitlichen wie zutatentechnischen Invest. Tut es: „Wir verkaufen zu 90 Prozent einen Cocktail aus der Barkarte vorab und fast immer eine Getränkebegleitung zum Menü“, erklärt Stillger. Die Begleitung liegt Stand September 2022 bei 52 Euro für sieben Getränke (sowohl mit als auch ohne Alkohol), sodass mit einem vollen Durchgang plus einem Drink vorweg schon rund 150 Euro verbucht werden können – und das ist für die kulinarische Gesamtleistung, die man als Gast hier erhält, absolut gerechtfertigt. Ein fast immer sehr gut gefülltes Restaurant zeugt davon, dass das Konzept und somit die Rechnung aufgeht. 

Ein Cappuccino-Drink und „Kaviar des Feldes“ ergänzen das Kartoffelgericht 

© Jan-Peter Wulf

Gemüsekulinarik

Vor bald elf Jahren mit vielen Fleischersatzprodukten in eine damals noch recht unbehauene vegane Gastrowelt gestartet, ist das „Kopps“ heute zweifellos eine der Adressen der Stadt, wenn es um pflanzenbasiertes Fine Dining geht. Um „Gemüsekulinarik“, wie es Stillger viel schöner formuliert. Zum Konzept gehört aber auch, und das von Anfang an, nachhaltig zu arbeiten. Ökostrom bezieht man seit der Eröffnung. Den Wasserverbrauch im Sanitärbereich hat man per Durchlaufregulierung deutlich senken können. Flaschenwasser als Getränk hat man komplett abgeschafft, es wird aufbereitet frisch gezapft. Die Karte, die vor uns liegt, ist aus Wiesengras statt aus Holz. Die Produkte haben Bioqualität und weder in der Küche noch an der Bar kommen Produkte mit tierischen Inhaltsstoffen zum Einsatz. „Wir arbeiten viel mit regionalen Produkten und mit Kleinstproduzenten – bis hin zum Winzer, der auch einen Geist macht, den er sonst gar nicht groß verkauft“, so Stillger. Die Weiterverwertung von Resten gehört auch dazu: „Ich brauche ja kein Fruchtfleisch, aber für die Küche ist das, zum Beispiel vom grünen Apfel, ja fast besser als die ganze Frucht und sehr lecker. Da fehlt nicht mehr viel, um ein tolles Sorbet draus zu machen. Und aus dem Zucker, in dem der Topinambur eingelegt war, stellen wir umgekehrt für die Bar einen Sirup her.“

„Nachhaltigkeit ist für viele zu einem Tool geworden“

Es sind viele kleine und große Bausteine, die hier ein ökologisch wie ökonomisch nachhaltiges Gesamtbild ergeben. „Nachhaltigkeit ist in letzter Zeit zu einem Tool geworden“, findet Stillger. Es sei zwar löblich, dass sich so viele mit diesem Thema beschäftigen, aber es müsse auch richtig getan werden, nicht nur symbolisch oder gar als Greenwashing. Wie konsequent es hier vonstattengeht, zeigt sich auch darin, dass sich „Kopps“-Betreiber Ilhami Terzi derzeit zum Nachhaltigkeitsberater fortbildet.


Cocktail-Begleitung: inspirieren lassen oder einfach genießen

Von all dem, der Detailverliebtheit, der Leidenschaft und der Konsequenz, mit der an der Bar und in der Küche des „Kopps“ gearbeitet wird, können die Gäste sich so einiges mitnehmen und sich inspirieren lassen. Sie können aber auch einfach „nur“ genießen und einen tollen Abend in einem schönen Restaurant mit optisch wie gustatorisch überaus ansprechenden Speisen und Getränken verbringen. Und so darf es ja auch gerne sein. Und wer weiß: Vielleicht wird schon bald das, was das „Kopps“ und ebenso die Bar-Restaurants Bonvivant und Golvet schon bieten, nämlich eine Dining-Experience mit Cocktails, von der Noch-Ausnahme zu einem schönen neuen Standard.


Hingucker und Textur-Extra: Bubbles aus Feigenperlen zum veganen Blauschimmelkäse.

© Jan-Peter Wulf