Geschüttelt oder gezapft: Bier an der Bar

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Peter Eichhorn über den großen Mehrwert von Bier in einer Cocktailbar

Ach, wie rückständig zeigt sich Deutschland in Bezug auf den zeitgemäßen Umgang mit Bier. „Was? Wie? Unverschämtheit! Bier ruht doch tief in der DNA der Menschen im Land des Reinheitsgebots!“ poltern empörte Traditionalisten. Aber tatsächlich: Bier wird nach wie vor viel zu oft mit einer langweiligen Stiefmütterlichkeit in der Gastronomie behandelt. Und behandelt meint zuweilen: ignoriert. Die Gastronomie präsentiert Brockhaus dicke Weinkarten, doch einen Verweis auf ein Bier sucht man meist vergebens. Geschweige denn eine sorgfältig kuratierte Bierauswahl.

2010 unternahm das Thema Craft-Beer die ersten zaghaften Gehversuche auch in Deutschland. 30 Jahre nach den USA, 20 Jahre nach Skandinavien, 10 Jahre nach Israel, war das Land von Oktoberfest, Hallertau und Starkbieranstich so ziemlich der letzte Landstrich der alkoholischen Welt, das zaghaft begann, die neue Bierkultur zu entdecken und die bewährte Biervielfalt neu zu beleben. Mit Ausnahme von Franken hatte Deutschland über die Jahre einen traurigen Niedergang der großen Brautraditionen erlitten.

 

Getränkeavantgarde am Tresen

Den Cocktail-Bars bot sich in den 2010-er-Jahren dann die Gelegenheit, das zu tun, was sie immer tun. Nämlich als Getränke-Avantgarde zu wirken. Spirituosen-Trends bilden sich in den Bars als Erstes ab, Rum und Gin werden sorgfältig ausgewählt, Techniken rings um Fat-washing, Smoker und Rotationsverdampfer kommen zum Einsatz und immer neue großartige Kreationen tüfteln die Mixologen des Landes aus.

Nun näherten sich eben auch die ersten dem Thema Bier, schließlich verkehrt in Bars zumeist ein interessiertes und aufgeschlossenes Publikum, das gerne Neues probiert und nicht bewährtes konsumiert. Neugierig blickten damals die Gäste der Berliner Bar „Becketts Kopf“ auf das Sierra Nevada Pale Ale und in der Hamburger „Boilerman Bar“ entwickelte sich ein Kult rings um die Großflaschen der Braumarke Maisels & Friends, serviert im Champagnerkühler, zusammen mit einem Bourbon-Shot. Einige Bars nutzten den Vorteil, nicht an Schankverträge der Braukonzerne gebunden zu sein, sondern frei ihre Bierauswahl zu entscheiden.

 

Zwischen Durstlöscher und Cocktailzutat

Eine Dekade später hat die hiesige Barszene ihren Umgang mit Bier entschlossen weiterentwickelt. Neben spannenden Bieren als Begleiter zum Whisky oder als prickelnde Erfrischung zwischen zwei Cocktails, bieten selbst eingekochte Sirupe eine offensichtliche und vielfältige Option. Der malzige Charakter eines Schwarzbiers oder Porters schmiegt sich tadellos in einen Old-Fashioned. Gleiches gilt für die Kombination aus Roggenbier und Rye Whiskey. Ein Weizenbier-Sirup befördert die Nuancen von Nelke und Banane in den Drink und Torf-Fanatiker sollten die Old Fashioned Variante aus Islay Malt und Rauchbiersirup probieren. Die Möglichkeiten sind aromatisch beeindruckend vielfältig.

 

Die Möglichkeiten von Bier in einer Bar

Auf dem Bar Convent Berlin 2022 griff die Deutsche Barkeeper Union e.V. im Rahmen ihres Bühnenprogramms das Thema auf und erkundete mit einem interessierten Publikum die Möglichkeiten von Bier in einer Bar. Sei es als Gedeck, als Zutat oder als Filler. Ein belgisches Kriek-Bier, ein Sauerbier mit Kirschen, kann einen Kirschlikör im Drink ergänzen und steuert zudem eine erfrischende Perlage bei.

 

Vorbild USA

Insbesondere in den USA, dem Land, in dem 1979 die Craft-Beer-Welle startete, ist Bier als Cocktailzutat zur Selbstverständlichkeit geworden. Anfangs gruben die Bartender dort die Klassiker aus, wie Snake Bite (Crème de Cassis, Cider, Lager), Black Velvet (Champagner und Guinness) oder Lagerita (Tequila und Lager). Später wurden Cocktails mit Bier dezent getwistet. Ein Sidecar kann mit etwas Weizenbier eine elegante Abwandlung erhalten. Oder ein White Russian ergibt einen kraftvollen Longdrink, wenn man ihn mit Porter oder Stout aufgießt.

 

Cocktails mit Bier

In der Zwischenzeit entwickelten Bier-affine Bartender in aller Welt neue Drinks mit der Zutat Bier. Im deutschsprachigen Raum erschien das Buch „Cocktailian 3 – Bier und Craft Beer“, um das Thema Bier näher in die Cocktailwelt zu rücken und Bartender Marco Beier aus München steuerte eine prächtige Auswahl an entsprechenden Cocktailrezepturen bei. Bereits 2017 war der Bier- und Cocktailexperte Jacob Grier aus Portland, Oregon auf dem Bar Convent Berlin als Referent zu Gast und zeigte das Innovationspotenzial dieser Cocktailkategorie auf der Brewberlin-Bühne. Mittlerweile wurde aus seiner Expertise ein Buch: „Cocktails on Tap – The Art of mixing Spirits and Beer“. Darin teilt er Biercocktails in sieben Kategorien ein und präsentiert die Rezepte vom Urgestein bis zu den komplexesten Kreationen der US-Barszene.

 

Gegenseitige Inspiration

Ein Rezept aus Griers Buch setzte das DBU-Team auf dem BCB gelungen um. Entwickelt von Bartender Evan Martin aus Seattle beweist der „Yakima Sling“, wie großartig India Pale Ale und Tequila miteinander harmonieren. In den Shaker kommen 4,5 cl Reposado Tequila, 2,5 cl Grapefruitsaft, 2 cl Zimtsirup und 1,5 cl Limettensaft. Shaken und abseihen auf Eiswürfel in ein Collins-Glas, danach mit 6 bis 9 cl IPA auffüllen.

Dass die Barkultur im Gegenzug auch die Brauszene inspiriert, beweisen der Cocktailhistoriker David Wondrich und der Braumeister der Brooklyn Brewery, Garrett Oliver. In New York leben sie in der gleichen Nachbarschaft und nehmen gerne gemeinsam einen Drink. „So mancher Cocktail wurde so für mich Inspiration für die Entwicklung einer neuen Braurezeptur“, schmunzelt Garrett Oliver, der mit seinem „Brooklyn Lager“ einen der zeitlosen Klassiker der neuen amerikanischen Bierkultur schuf. Sein Buch „Brewmaster’s Table“ wurde zum Klassiker, wenn es darum geht, Bier mit Speisen zu kombinieren. New Yorker Köche treten an ihn heran, um zu einem speziellen Gang für ihr Menü ein passendes Bier zu brauen. Wir sehen, die Genusswelt hat in Bierangelegenheiten noch so manches faszinierende sensorische Erlebnis vor sich.

Doch bereits 1897 äußert der Autor Edward Spencer in seinem Buch „Cakes and Ales“ die Überlegung: „Ich frage mich, wie vielen Menschen bewusst ist, dass Champagner und Guinness Stout eine der besten Kombinationen überhaupt ist?“ Es stimmt – Biercocktails lohnen, entdeckt zu werden.