So funktioniert das Drink-Pairing im Berliner „Bonvivant Cocktail Bistro“

© Jan-Peter Wulf


Mit seinem hybriden Konzept aus Bar und Restaurant auf Augenhöhe konnte sich das 2019 eröffnete „Bonvivant Cocktail Bistro“ schnell einen Namen machen. Mittlerweile gibt es auch begleitend zum Menü gemixte Drinks – und zwar als Standard statt Wein. Wie funktioniert das? Wir waren vor Ort.


 

Es ist mitten in der Woche, später Frühling, sonnig und angenehm warm. Langsam finden sich die ersten Gäste im „Bonvivant Cocktail Bistro“ ein. Die meisten zieht es verständlicherweise nach draußen, auf der Schöneberger Gastromeile Goltzstraße sitzt es sich schließlich auch gut. Praktisch für uns, so können wir drinnen, mitten im schönen Ambiente, ganz entspannt über Cocktail-Pairing reden. Wenngleich es sich mittlerweile rumgesprochen hat, dass man auch zur Speise gut und gerne mal einen Drink genießen kann, ist es fast immer noch die Ausnahme beziehungsweise geschieht meist punktuell. Hier ist es „default“, denn auf der Karte wird neben jeder Speise ein gemixtes Getränk vorgeschlagen. Eines aus Sherry, Apfelverjus, Kräutern und Ume Su zum Beispiel zu den Austernpilzen mit Haselnuss, Meerrettich, Kohlrabi und Kiefern. Oder eins mit Rum, Roter Bete, Minze und Ahornsirup zur Roten Bete mit Rosen-Shiozuke, weißer Schokolade und Rooibos.

 

Namenlose Drinks

Zwei Sachen fallen dabei auf: Erstens, dass es sehr „kulinarische“ Drinks sind, mit vielen Zutaten, die man aus der Küche bzw. aus Speisen kennt. Und zweitens: Die Drinks sind namenlos. Ganz bewusst. „Wir geben sie zum Gericht bei“, erklärt Elias Heintz, der seit anderthalb Jahren die Bar des Hauses leitet, nachdem er von der Bar des Strandhotels „Travel Charme“ auf Rügen in die Hauptstadt kam. Als er anfing habe er sich gefragt, warum es nicht, neben Cocktails vor oder nach dem Essen, konsequenter Weise auch eine Begleitung gibt, maßgeschneidert für die Speisen: „Wir haben dann lange überlegt, wie wir das umsetzen und ins Konzept einbetten. Ich habe mich viel mit anderen Barchefs und mit Sommeliers ausgetauscht und dann entschieden: Wir trennen Cocktailkarte und Cocktailmenü. Mit unserer Bar wollen wir glänzen und ein fancy Erlebnis schaffen. Bei der Begleitung geht es uns darum, die Küche zu unterstützen, sie hat hier den vollen Fokus.“


Systematisches Pairing

Darum haben die Getränke keine Namen und kein Garnish. Geschmacklich aber sind sie umso präsenter und erfüllen im Zusammenspiel mit den Speisen eine wichtige Funktion, sie sollen nicht einfach nur gut dazu passen, sondern werden funktional und systematisch eingesetzt. „Wir pairen auf unterschiedliche Arten“, erklärt Heintz. Ausgleichend etwa, wenn einem kräftigen, deftigen Gericht wie der Frühlingszwiebel mit Kartoffel-Galette und intensivem Bergkäse ein erfrischend-leichter Drink aus Riesling, Verjus, Petersilie und Karotte entgegengesetzt wird. Oder wenn wie beim ersten Gang, einer feincremigen, leicht angerösteten Sellerieschnitte, dazu fein gehobelter frischer Sellerie, frische Ponzu, erdiges Tannennadelpulver und buttriges Walnusspüree, ein Drink mit würzigem Wermut als Basis, aromatischem Vetiver und mit Douglasie infusioniertem Apfelbrand gereicht wird, der als prickelndes Finish mit Kräuterlimonade aufgefüllt wird: Die Kohlensäure spült den Mundraum nach der cremigen Speise wieder frei und macht ihn bereit für den nächsten Gang.
 

© Jan-Peter Wulf

Spannend und abwechslungsreich

Man kann mit dem Pairing natürlich auch Aromen verstärken. „Das machen wir zum Beispiel, wenn wir das Gericht mit Roter Bete durch einen Drink begleiten, der auch Rote Bete enthält“, so Heintz. Ein ergänzendes Pairing wiederum ist, wenn zum Beispiel zum Pfirsich auf dem Teller nicht noch einmal Pfirsich im Glas kommt, sondern dann eher was Nussiges – oder umgekehrt. Und auch ein „kulturelles Pairing“ sei interessant für die Gäste. Heintz: „Zum Beispiel die Magarita-Adaption, die wir letztes Jahr zum mexikanischen Sommergericht serviert haben.“ Diese Unterschiedlichkeit der Pairing-Ansätze halte die Begleitung in der Menüfolge spannend und abwechslungsreich für die Gäste, findet er – spannender und kreativer, als man sie mit Wein gestalten könne.

 

Pairings entstehen im kreativen Wechselspiel

Wie entstehen die Pairings nun? Auch hier gilt das Prinzip „Kitchen first“ und auch hier geht man sehr systematisch ran: Küchenchef Nikodemus Berger stellt seinem Kollegen die Idee für ein neues Gericht vor – Zutaten, Aromen, Textur. Dann werden die Hausaufgaben gemacht und erste Ansätze für das begleitende Getränk entwickelt. In der Folgewoche setzt man sich erneut zusammen und präsentiert sich gegenseitig den Zwischenstand, sprich: Der Küchenchef nippt am Drink, der Barchef sticht die Gabel in die Speise. Passt’s schon? Geht man in die gleiche bzw. richtige Richtung? „Manchmal passt es innerhalb eines Nachmittags, manchmal verwerfen wir auch ganze Sachen“, sagt Elias Heintz lachend. Sein Kollege Nikodemus, der zuvor im mittlerweile geschlossenen Zwei-Sterne-Restaurant „Reinstoff“ sowie im „Le Faubourg“ arbeitete, ist mittlerweile dazu gestoßen und ergänzt: „Es ist großartig, wenn man ein Gericht entwerfen kann und bestimmte Aromen oder auch Säure, die man nicht in der Speise hat, über den Drink ergänzt. Das ist eine sehr schöne Erweiterung.“ Und die Summe am Ende größer als die einzelnen Teile.

 

© Jan-Peter Wulf

Stetiger Austausch und gemeinsames Zutatensammeln

Weil Positionen auf der Karte ständig und rollierend ausgetauscht werden, alle ein bis zwei Wochen geht ein Gericht runter und ein neues drauf, ist auch ständig ein neuer Drink „fällig“, sodass der Austausch zwischen Küche und Bar stetig ist. Übrigens auch außerhalb der Location: Selbst gesammelte Zutaten gehören zum Konzept, auf dem Teller und im Glas. Und so sind gemeinsame Trips in die Botanik innerhalb der Stadt und drumherum keine Ausnahmen, sondern die Regel. Kiefernzapfen aus dem nahen Park am Gleisdreieck beispielsweise verwendet man fürs Dessert, die Nadeln für Bar-Sirup. Holunder und Flieder, Walnussblätter, Beifuß und Tellerkraut oder auch wilde Pastinake oder wilde Möhre von abgelegenen bzw. außerstädtischen Stellen – vieles kann und wird hier in Eigenarbeit geerntet.

 

Ein guter Sour braucht keine Zitrone

Neben diesem „brutal lokalen“ Ansatz setzt man auch auf regionale Lieferanten und verzichtet weitgehend auf Exotisches – inklusive Zitrusfrüchten. „Mit unseren selbst hergestellten Säuren bekommen wir einen super Sour auch ohne Zitronen hin“, so Elias Heintz. Und im erfrischenden Eistee, den wir beim Gespräch genießen, befinden sich Abschnitte aus der Küche, die bei der Herstellung des Quitten-Apfelmuses verblieben sind, das man beim sehr beliebten Wochenend-Brunch serviert. Und umgekehrt können die Haselnüsse, die für den Bar-Sirup karamellisiert und ausgekocht werden, auch nicht weggeworfen, sondern beim Brunch verputzt werden. 100 Prozent Verwertung schaffe man noch nicht, so Elias Heintz, aber man versuche, durch das Zusammenspiel von Küche und Bar möglichst immer weiter dorthin zu kommen.

 

Mit Low-ABV-Produkten starten

Sein Tipp für alle, die ebenfalls das Thema Pairing forcieren wollen: „Mit leichten, nicht zu alkoholischen Produkten wie Wermut oder Sherry anfangen und sich dann Stück für Stück weiterentwickeln. Und Gäste-Feedback einholen. Damit sind wir jetzt auf einem anderen Level als zu Beginn.“

Exklusiv für die Leser des BCB-Blogs: Das aktuelle Pairing-Sheet aus dem „Bonvivant Cocktail Bistro“ inklusive Verkaufsempfehlungen für den Service. Hier herunterladen! 

 

Bonvivant Cocktail Bistro

Goltzstraße 32, 10781 Berlin

www.bonvivant.berlin