Mentale Gesundheit: Vom Stress zum Sweetspot
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Das Arbeiten im Gastgewerbe gilt als anstrengend, stressig und auf Dauer ungesund. Auch für die Psyche. Das weiß wohl jeder, der in dieser Branche tätig war oder ist. Aber: Es lässt sich etwas gegen Dauerstress und mehr Wohlbefinden tun und es fängt mit der eigenen Einstellung an. Erläuterte Kris Hall vom „Burnt Chef Project“ in seinem spannenden Vortrag beim Bar Convent Berlin 2023.
Am Anfang seines „Stress Reduction Workshops“ zeigt Kris Hall dem Publikum ein Bild eines typisch britischen Hauses. Das Wetter ist ziemlich schlecht. Es ist eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2017 und in dem Haus befindet sich die Praxis von Halls Therapeuten. Hall hat den Moment festgehalten, in dem er sich endlich dazu durchringen konnte, Hilfe von außen anzunehmen.
Raus aus der Abwärtsspirale
Davor lagen viele Jahre mentaler und psychischer Probleme, großenteils job- und stressbedingt, die der Brite – seit fast 15 Jahren selbst in der Branche unterwegs – mit Mitteln wie Alkohol oder Drogen kleinzukriegen versuchte, wie es so viele tun, weltweit. Viele arbeiten unter ständigem Stress, sind körperlich und geistig völlig ausgelaugt, greifen zu Substanzen und geraten in eine Abwärtsspirale wie Hall. Knapp zwei Jahre nach dem Beginn der Therapie, im Mai 2019, trifft er die Entscheidung: Sein persönlicher Ausweg soll auch anderen ein Vorbild sein.
#notjustforchefs
Er gründet mit nur 50 Pfund Startkapital das „Burnt Chef Project“, eine Organisation, die unter dem Hashtag-Motto #notjustforchefs nicht nur den Führungskräften, sondern allen in der Branche Angebote für die Verbesserung ihrer Gesundheit und des Wohlbefindens an die Hand geben will. Das Projekt ist eine wahre Erfolgsgeschichte, denn heute sind die „Burnt Chefs“ in fast 80 Ländern weltweit mit lokalen, ehrenamtlichen Teams aktiv. Die Initiative veranstaltet Schulungen in Unternehmen wie Pub- und Restaurantgruppen, bietet (teils kostenlose) E-Learning-Kurse an, Tipps für Atemübungen und mehr Achtsamkeit im Alltag und vermittelt Support. Im eigenen Podcast „The Burnt Chef Journal“ spricht man mit ExpertInnen und Betroffenen über das so komplexe wie weitverbreitete Thema mentale Gesundheit.
Mentale Gesundheit ist nicht minder wichtig
Frage des Speakers ans Publikum: Was ist mentale Gesundheit überhaupt? Haben wir überhaupt ein Verständnis dafür? Denn während wir schon in der Schule gelernt haben, wie wichtig es ist, auf die physische Gesundheit zu achten – Bewegung, gute Ernährung etc. – bleibe dies beim mentalen, also psychischen Teil der Gesundheit oft aus, so Hall. Dabei ist dieser genauso wichtig, nur als Ganzes könne Gesundheit tatsächlich gelingen. „Psychische Gesundheit ist ein Zustand des psychischen Wohlbefindens, der es den Menschen ermöglicht, die Belastungen des Lebens zu bewältigen, ihre Fähigkeiten zu erkennen, gut zu lernen und zu arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft zu leisten“, so die Definition der WHO.
1 Billion USD kostet der Produktivitätsverlust
Der Bogen mentaler Zustände spannt sich von überragend – voller Energie, freudvoll, hohe Performance – über sich durchschlagend („surviving“) – nervös, irritierbar, zurückgezogen, besorgt – bis hin zur Krise: Angst, Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Absentismus. Schätzungsweise eine Billion US-Dollar kostet die Welt der Produktivitätsverlust durch schlechte mentale Gesundheit, wollen die Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer von Deloitte 2022 herausgefunden haben. Die unterschiedlichen Zustände können durchaus häufig wechseln, erklärt Hall. Das dürfte vielen in der Gastro-Branche Tätigen bekannt sein. Manchmal hängt es „nur“ davon ab, wie eine Schicht verläuft, wie die Gäste sind, wie voll oder leer der Laden ist. Das Ziel: Wir alle sollen uns möglichst dauerhaft im grünen Bereich aufhalten.
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Den Sweetspot finden
Stress, so Hall, ist ein zentraler Faktor für unsere mentale Befindlichkeit. Er begleitet uns, seit es uns gibt. In Gefahrensituationen versetzte er unsere Vorfahren in den Überlebenmodus „fight or flight“, wenn der Tiger kam. Heutige „Tiger“, zumal im Hospitality-Business, sind Lärm und betrunkene Gäste, hoher Arbeitsdruck – doch auch das komplette Gegenteil, nämlich Zeit, die einfach nicht vergehen mag, tut uns nicht gut. Als wir im Lockdown saßen, erinnert uns Hall, haben wir dies nur allzu gut erleben dürfen – nur um direkt danach, als die Gäste wieder in die Läden strömten, in Arbeit geradezu unterzugehen. Zwischen Burnout und Boreout gelte es, den „flow state“, den „sweet spot“ zu finden und zu halten. Denn gerät die mentale Gesundheit aus der Balance, sind mehr Fehler (bis hin zu Verletzungen), schlechte Performance, Schmerzen in Kopf und Gliedern oder Präsentismus – trotz Krankheit arbeiten – das Ergebnis (mehr dazu auch im Vortrag der Kollegen von „Healthy Hospo“ vom BCB 2022).
Spot, Stop, Swap
Was lässt sich nun für mehr Wohlbefinden tun? Erstens, so Hall: Spot – Anzeichen selbst erkennen lernen, dass man in eine Schieflage gerät. Zweitens: Stop – Aufhören mit den typischen Ausweichreaktionen (von zu viel Koffein über andere Substanzen bis zum endlosen Scrollen auf dem Handy, stattdessen: präsent sein). Und drittens: Swap – Wechseln zu Routinen, die wie das zweimal tägliche Zähneputzen die mentale Gesundheit auf Dauer fördern.
Can Do
Halls Erfolgsakronym heißt „Can Do“:
Connect – soziale Verbindungen pflegen
Active – Sport und Bewegung, schon eine Viertelstunde am Tag zeitigt positive Effekte
Notice – sich und seine Umgebung wahrnehmen, zum Beispiel durch bewusstes Atmen oder, als tägliches Ritual, ein sinnliches Erfahren im Modus „5, 4, 3, 2, 1“: Fünf Dinge (bewusst) betrachten, vier Geräusche hören, drei Sachen anfassen, zwei riechen, eines schmecken – das dürfte in einer Bar mit seinen vielen Utensilien sehr gut gehen, so Hall
Discover – Neues entdecken, z.B. Hobbys pflegen
Offer – Mitmenschen Zeit geben, ehrenamtlich tätig sein oder einfach mal Müll aufheben, der auf der Straße liegt, Selbstwirksamkeit fördern
Kris Halls Tipp für das Fachpublikum zum Schluss: Erkennt und feiert, was ihr in Bezug auf die eigene mentale Gesundheit bereits gut hinbekommt. Und fangt dann an zu überlegen, welche Dinge ihr in Zukunft anders gestalten könnt.
Wie? Dafür gibt es viele konkrete Hilfestellungen, Leitfäden und Hintergrundinformationen auf der Webseite der Initiative: www.theburntchefproject.com