Reinhard Pohorec: „Gastgeber muss ich zuerst einmal mir selbst gegenüber sein"
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Bar ohne Namen
Entschlossen verweigert sich Savage, der Bar einen Namen zu geben. Stattdessen sind drei klassische Design-Symbole das Logo der Trinkstätte in Dalston: ein gelbes Quadrat, ein rotes Viereck, ein blauer Kreis. Am meisten wurmt den sympathischen Franzosen dabei, dass es kein Gelbes-Dreieck-Emoji gibt. Das erschwert auf komische Weise die Kommunikation. Der Instagram Account lautet: a_bar_with_shapes-for_a_name und anderenorts tauchen die Begriffe ‘Savage Bar’ oder eben ‚Bauhaus Bar‘ auf.
Für den BCB bringt Savage nun sein Barkonzept mit und mixt für uns mit Unterstützung von Russian Standard Vodka an der perfekten Bar dazu.
Bartender, Spirituosen-Produzent, Berater, Autor, Gastgeber und vor allem Menschenfreund: Reinhard Pohorec ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten der deutschsprachigen Barszene und sehr international unterwegs. In „normalen“ Zeiten jedenfalls. Wie geht er mit der aktuellen Situation um, welche Herausforderungen und Chancen sieht er in ihr – und was dürfen wir von seinem Vortrag „The Art of Hosting“ beim diesjährigen digitalen BCB erwarten? Jan-Peter Wulf hat sich mit Reinhard Pohorec zum virtuellen „Fireside Chat“ verabredet.
Lieber Reinhard, zunächst einmal: Wie geht es dir? Wie bist du durch die vergangenen Monate gekommen?
Grundsätzlich geht es mir sehr gut. Wirtschaftlich kämpfe ich als Unternehmer natürlich wie alle anderen mit veränderten Vorzeichen und großen Herausforderungen. Internationale Consulting-Projekte und Vorträge – all das ist auf null runter gegangen wegen der Unmöglichkeit, Reisen anzutreten. So ist eben die Situation. Aber ich bin ein notorischer „das Glas ist halb voll“-Typ und nehme immer die positiven Aspekte für mich heraus. Wir müssen dynamisch bleiben, neue Möglichkeiten entwickeln und bestmöglich in die Zukunft denken.
Ist bei dir etwas entstanden in dieser besonderen Zeit, dass es vorher noch nicht gab, ein „Corona-Baby“ sozusagen?
Ja, ich habe mir überlegt, wie ich das, was ich gerne mache – Menschen zusammenbringen, Gastgeber sein – in ein virtuelles Format gießen kann. Ich habe eine virtuelle Zigarren- und Genuss-Lounge ins Leben gerufen (die „Light Em Up Lounge“, Anm. d. Red.). Dort heiße ich Menschen aus der ganzen Welt willkommen, ich bringe die großen Master Blender und führenden Köpfe des Zigarren-Business mit unseren globalen Community zusammen, führe Interviews mit ihnen und darf zudem auch internationale Top Speaker, Entrepreneurs und Coaches begrüßen. Auch Master Distiller und Spirituosenlegenden waren zu Gast. Mittlerweile haben uns schon weit über eine Viertelmillion Menschen zugeschaut. Dafür wurde ich kürzlich vom „Cigar Journal“ als weltweiter Botschafter. Gastgeber sein kann ich so auch auf neuen Wegen.
Gastgeber sein: Darum dreht sich dein Vortrag „The Art of Hosting“ beim diesjährigen Bar Convent Berlin, der aufgrund der aktuellen Situation digital stattfindet. Haben sich die Anforderungen an „das Gastgeben“ durch Corona aus deiner Sicht verändert?
Grundsätzlich überhaupt nicht. Gastlichkeit ist kein Marketing-Gag, mit dem man jetzt um die Ecke kommt, weil der Begriff „Mixologe“ ausgereizt ist. Es ist eine Lebensphilosophie, eine Herzenseinstellung, etwas, das man zutiefst in sich trägt. Wenn dies der Fall ist, dann sprudelt Gastlichkeit aus einem heraus und man kommt gar nicht umhin, als es zu leben. So muss Gastlichkeit auch als quintessentieller Wert in jeder Unternehmenskultur verankert sein. Etwas, das man zutiefst überzeugt in sich trägt. Dann findet sie immer ihren Weg in allem, was wir tun. Klar: Neue Lebensrealitäten verändern den Output dessen, was man als Gastgeber macht. Mit meiner Lounge bin ich nun im Virtuellen Gastgeber für Menschen aus aller Welt. Das ist etwas anderes, als wenn ich in der „Tür 7“ (jene berühmte Wiener Bar, in der er nach wie vor regelmäßig hinter dem Tresen steht, Anm. d. Red.) in der jemandem die Türe aufmache, den Mantel abnehme und in unserer Bar begrüße. Was sich aber überhaupt nicht ändert, ist die Idee dahinter: Was bedeutet Gastlichkeit?
Was bedeutet sie für dich?
Für mich ist Gastlichkeit der Wunsch, anderen Menschen offen, ehrlich und willkommen heißend zu begegnen. Ihnen Gutes tun zu wollen, ohne etwas konkret zurück zu erwarten. Es ist ein wohlmeinender, herzlicher Akt.
Du musst jetzt eine Maske tragen bei der Arbeit an der Bar. Erschwert oder behindert es diesen Akt nicht?
Die Frage stelle ich mir nicht. Der Vorschrift müssen wir uns beugen. Das zu hinterfragen bringt niemanden weiter. Wir haben es in der „Tür 7“ vergleichsweise einfach. Es ist eine kleine Bar und immer schon auf Platz, Ruhe und Beständigkeit ausgelegt. Die Gäste schätzen es jetzt, glaube ich, sehr, dass eigentlich alles wie immer ist: Ein Ort der Verlässlichkeit. Natürlich, in der Mimik geht hinter der Maske einiges an Kommunikation verloren, andererseits sage ich: Ein Lächeln siehst du auch in den Augen und spürst, wenn es von Herzen kommt.
Das kann ich als Gast bestätigen.
Ich liebe Menschen (lacht)! Ich liebe den Austausch, die Vielfalt, die Abwechslung: all unsere Stärken und Schwachen. Jeder Tag ist eine neue Chance, jede Begegnung das Tor zu einer neuen Welt. Mit dieser positiven Einstellung im Herzen ist Gastlichkeit natürlich, dann muss ich mir kein Konzept und keinen USP überlegen.
Du hast vor einiger Zeit in einem Podcast-Gespräch gesagt, dass du viel Wert darauf legst, das Schöne des Alltags wahrzunehmen – die kleinen Dinge des Lebens. Hilft diese Fähigkeit zur Wahrnehmung, diese Achtsamkeit, auch ein guter Gastgeber zu sein?
Ja, ich denke, eine gewisse Offenheit für die schönen Dinge des Lebens, sich immer wieder bewusst zu machen zu daran zu erinnern, was uns alles geschenkt ist – das ist ein wichtiger Anker und hilft, mit den Herausforderung des Alltags und schwierigen Situationen wie der aktuellen anders umzugehen. Ich bin ein sehr bescheidener, demütiger und dankbarer Mensch. Das lässt mich viele Dinge anders wahrnehmen, bewerten und wertschätzen.
Der Untertitel deines Vortrags lautet „the multi-tiered culture of treating people well“. Ohne dem Vortrag allzu sehr vorweg greifen zu wollen: Magst du uns verraten, was sich dahinter verbirgt?
Für mich findet Gastlichkeit, gerade wenn man es in einem Business-Kontext betrachtet, auf drei Ebenen statt. Gastgeber muss ich zuerst einmal mir selbst gegenüber sein. Das ist der intrinsische Aspekt der Gastlichkeit. Ich muss mir selbst gegenüber offen, wertschätzend und willkommen heißend begegnen, um mich anderen Menschen öffnen zu können. Der zweite Aspekt ist der interne: Wie gehe ich mit meinem Team um? Wie entwickle ich eine Unternehmenskultur, in der sich alle willkommen und wertgeschätzt fühlen – und dadurch ihre beste Leistung abrufen können? Und erst der dritte Aspekt ist der externe, wo es um meinen Kunden beziehungsweise Gast geht. Wie gehe ich mit diesem um? Ganz oft machen wir uns darüber Gedanken, wie man diesen dritten Teil anders gestalten und optimieren kann. Oder wir denken über das konkrete Produkt nach: Wie kann ich meine Getränke innovativer machen, mit pulverisierten Säuren eine Basismischung bauen, die nach Zitrone oder Limette schmeckt? Dabei vergessen wir oft ein wenig die ersten beiden Stufen. Sie sind aber essentiell, um extern überhaupt eine gute Performance liefern zu können.
Wann fühlt man sich ein einer Bar gut aufgehoben, wann fühlst du dich in einer Bar wohl?
Da kommen wir zu meinem zweiten Herzensthema, der Multisensorik und dem Erlebnisdesign. Ich denke, es ist immer ein Gesamtkunstwerk, das auf vielen verschieden Ebenen funktionieren und sich für den Gast schlüssig und stimmig anfühlen muss. Holistisch ohne Ecken und Kanten, „frictionless“ sagen die Amerikaner. Ohne dass man genau ausmachen kann, was diese Stimmigkeit genau bedingt. Ankommen, Runterkommen, Wohlfühlen – es ist die Summe vieler Einzelbausteine auf allen Sinnesebenen. Ich muss mir in der Gestaltung bewusst machen: Wie fühlt sich meine Bar an? Wie schaut sie aus, wie riecht sie? Wie klingt sie? Wie schmeckt sie? Jeden Baustein muss ich abklopfen: Fühle ich mich da wohl, wertgeschätzt, willkommen oder nicht? All diese kleinen Parameter zahlen auf das größere Ziel ein: Mein Gast verbringt den bestmöglichen Abend und hat ein wunderschönes Erlebnis – ohne dabei als Gastgeber ständig im Hinterkopf zu haben, dass man den Gast ja um sein Geld erleichtern will.
Sollte man also auch gerne in seine eigene Bar gehen, quasi bei sich selbst Gast sein?
Absolut. Du musst dich zu hundert Prozent wohl und zu Hause fühlen, sonst solltest du dir Gedanken machen, was falsch läuft. Die „Tür 7“ ist für uns auf jeden Fall ein Zuhause. Gut, so richtig runter kommst du dann doch nicht, du bist immer irgendwie „on duty“. Man schaut halt doch immer automatisch, ob alles passt. Aber eigentlich ist mir das auch wurscht: Wenn ich sehe, dass ein Gast etwas braucht, ein Glas Wasser oder eine Empfehlung für die nächste Bar, dann helfe ich ihm weiter. Das würde ich mit jedem Menschen so machen. Auch wenn es nicht die Bar ist, in der ich arbeite.
Das klingt nach Gastlichkeit ganz aus dem Herzen. Vielen Dank, Reinhard, und alles Gute.