„Der Wissensdurst ist groß“

© Roland Justynowicz

Renommierte Verstärkung für noch mehr Professionalisierung der Branche: Der mit vielen Awards ausgezeichnete Bartender Christian Gentemann ist neuer „Head of Education & Community“ der Deutschen Barkeeper Union e.V. Jan-Peter Wulf sprach mit ihm über die neuen Weiterbildungsformate des Berufsverbands.

BCB: Christian, als kreativer Bartender bist du vielen Kolleginnen und Kollegen sicher ein Begriff. Jetzt engagierst du dich hauptberuflich in der DBU. Wie kam es dazu?

Christian Gentemann: Vor 2021 hatte ich mit der DBU, bis auf einige Jurytätigkeiten, recht wenig zu tun. Anfang letzten Jahres sprach mich Maren Meyer, unsere aktuelle Vorsitzende, an und lud mich zu Treffen ein. Ich empfand die Atmosphäre als sehr angenehm und die Leute gut, die dabei sind. In den Gesprächen bekam ich ein gutes Gefühl dafür, wohin die Reise gehen soll – und bin eingetreten.

BCB: Du bist dann auch gleich „Head Region Ost“ geworden.

Christian: Ja, früher gab es in der DBU ja sogenannte Sektionen, jetzt ist der Verband nach den vier Himmelsrichtungen aufgeteilt. Ich bin nun verantwortlich für den Osten, weil ich relativ schnell für mich entschieden habe: Wenn ich dabei bin, dann möchte ich auch was bewegen. Das kann ich aber nicht alleine, sondern ich brauche Menschen an meiner Seite, die mich unterstützen. Ich habe mich mit Maria Gorbatschova von der „Green Door Bar“, mit Arnd-Henning Heissen (früher „The Curtain Club“, demnächst „Frederick’s“, Anm. d. Red.) und mit Tarek Nix* zusammengesetzt. Wir waren uns schnell einig, dass Aus- und Weiterbildung das zentrale Thema ist. Überall ist vom Fachkräftemangel die Rede, umso mehr gilt es, jedem, der an dieser Branche interessiert ist, ein Fundament zu geben. Wir wollen die Leute in die Lage versetzen, sich den Beruf in all seinen Facetten anschauen zu können, sodass sie ihren eigenen Stil und ihre eigene Handschrift entwickeln können.

BCB: Für diese Facetten habt ihr Formate entwickelt.

Christian: Ja, aktuell sind es drei: Erstens „Behind the Scenes“. Hier besuchen wir in regelmäßigen Abständen spannende Konzepte und blicken gemeinsam hinter die Kulissen. Es muss nicht immer eine Bar sein, gerne auch ein Restaurant oder ein Catering-Unternehmen. Wir sind damit in Berlin im „Provocateur“ gestartet, danach waren wir im „Velvet“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen dabei viele Insights aus erfolgreichen Betrieben – was funktioniert, was noch nicht, woran wird gearbeitet? Wir erhalten sehr gutes Feedback dafür.

BCB: Format zwei …

Christian: … nennen wir „How to“. Hier setzen wir uns detailliert mit einem Barthema auseinander. Das erste Event hieß „Wie gründe ich eine Bar“. Was brauche ich dafür von A bis Z? Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie sieht es mit dem Standort aus, mit der Finanzierung? Den Workshop leitete Arnd Heissen. Er wird das Thema auch weiter begleiten, die nächsten Termine sind bereits in Planung.

BCB: Arnd Heissen steckt ja selbst gerade mitten in diesem Thema drin, weil er zurzeit mit der Eröffnung einer Bar beschäftigt ist, dem „Frederick’s“ am Potsdamer Platz. Thema drei?

Christian: Heißt „The Taste“ und dreht sich um Geschmack, von der Sensorik bis zu Produktverkostungen. Damit haben wir ebenfalls im vergangenen Jahr in Berlin begonnen. Und weil für einen Verband wie die DBU Ziel sein sollte, so etwas möglichst in allen Regionen stattfinden zu lassen, entstand die Idee für meine jetzige Stelle, mit der ich mich um den Rollout kümmere.

BCB: Wie habt ihr die Weiterbildungsformate entwickelt?

Christian: Im Prinzip fußen sie auf unseren eigenen Erfahrungswerten. Auf dem, was uns geholfen hat und von dem wir glauben, dass es anderen Barleuten auch helfen wird. Ich persönlich habe immer am meisten von guten Leuten gelernt, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Und die Liste guter, erfahrener Barleute ist lang. Diese Erfahrungen und dieses Wissen wollen wir bündeln und zur Verfügung stellen. Die DBU setzt sich ja schon seit vielen Jahren dafür ein, Bartender/in als Ausbildungsberuf zu etablieren. So lange dies noch nicht so ist, stellen diese drei Formate aus meiner Sicht sehr gute Werkzeuge dar, um noch mehr Know-how in die Branche zu bringen. Der Wissensdurst ist unglaublich groß! Uns schreiben sehr viele Leute: Ich will was lernen!

BCB: Ladet ihr ausschließlich Mitglieder der DBU dazu ein?

Christian: Die Veranstaltungen sind komplett offen und das auch ganz bewusst. Langfristig verfolgen wir schon das Ziel, möglichst viele neue Mitglieder zu gewinnen. Aber ich werde sicher nicht mit Mitgliedsanträgen durch die Bars rennen (lacht). Wir wollen etwas anbieten und etwas leisten, Mehrwerte aufzeigen. Dann ist die Motivation deutlich größer, bei uns aktiv zu werden.

 

BCB: Wird das Wissen, das live vermittelt wird, auch Interessierten zugänglich gemacht, die nicht vor Ort sein können?

Christian: Ja. Es gibt eine DBU-eigene App, mit der die Mitglieder sich zu verschiedenen Themen austauschen können. Die Inhalte stellen wir dort zur Verfügung – und im nächsten Schritt auch öffentlich.

BCB: Kann sich die Industrie auch einbringen, also Getränkehersteller X oder Ausstatter Y?

Christian: Die DBU bietet verschiedene Bausteine an, die man buchen kann. Der Grundbaustein ist eine Jahrespartnerschaft, und als ein solcher Partner kann man dann zum Beispiel, möchte man mehr machen, ein Format oder eine Reihe supporten.

BCB: Die DBU hat 2017 ein eigenes Schulungsbuch veröffentlicht, „Das Barhandbuch für Einsteiger“, das auch an Berufsschulen genutzt wird. Wirst du als „Head of Education & Community“ fortan auch in Bildungseinrichtungen gehen?

Christian: Das ist auf jeden Fall geplant, denn es ist ein guter Anknüpfungspunkt, um die Basics über unseren Beruf zu vermitteln. Maren Meyer macht das punktuell bereits, wir werden das ausbauen.

BCB: In der Branche wird gerade das Thema Veränderung von Arbeitszeiten heiß diskutiert. Sprich mehr freie Zeit, Vier-Tage-Woche. Wie beobachtest du das persönlich und wie steht ihr als DBU dazu?

Christian: Es gibt Fakten, die sich nicht ändern lassen: Menschen werden abends essen und auch trinken gehen. Darum wird es so sein, dass abends und auch nachts gearbeitet wird. Aber viele wollen das ja auch: Ich höre in Gesprächen immer wieder, dass den Bartenderinnen und Bartendern, die jetzt in Kurzarbeit zu Hause sitzen, die Nacht fehlt. Die wollen ganz bewusst dann arbeiten. Zum Thema Vier-Tage-Woche: Das ist ein spannendes Modell. Einige Hotelketten, unter anderem „25hours Hotels“, mit denen wir kooperieren, sind damit gestartet. Auch wenn sich das vielleicht nicht immer alles direkt in einer kleinen Bar umsetzen lässt: Von solchen Beispielen können wir lernen, indem wir Verantwortliche aus den Unternehmen zu Workshops holen und sie von ihren Learnings berichten lassen.

BCB: Bitte vervollständige diesen Satz: Wenn alle Barleute in der DBU organisiert wären, könnten wir …

Christian: … definitiv mit lauterer Stimme sprechen. Ich denke, wir alle haben jetzt gelernt: Je lauter man spricht, desto mehr Aufmerksamkeit erhält man. Wenn man das noch mit guten Inhalten hinterlegt, wird man deutlich besser wahrgenommen. Man sieht es, auch wenn es nicht ganz mit uns vergleichbar ist, beim DEHOGA (dem deutschen Hotel- und Gaststättenverband, Anm. d. Red.): Er hat den Zugang nach oben zur Politik und das in erster Linie aufgrund seiner Mitgliederstärke. Herunter gebrochen auf die Barwelt und mit Blick auf die vielen kleineren, lokalen Organisationen, die sich gebildet haben und die tendenziell die gleiche – gute – Absicht haben: Man kann schon überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, sich langfristig zu einer großen Organisation zusammen zu schließen, um erfolgreicher zu sein. Aus meiner Sicht ist das sehr sinnvoll. Wir sind aktuell bei 700 Mitgliedern, das ist schön und gut. Aber nicht groß genug! Wir wollen wachsen.

BCB: Welche Veranstaltungen sind für die kommende Zeit geplant?

Christian: Hinter die Kulissen blicken wir Ende März in der „Wax On Bar“ in Berlin (u.a. mit BCB Brand Ambassador Damien Guichard, der dort als Bartender arbeitet, Anm. d. Red.). Im April stellen wir unser neues Education-Programm bei Kick-offs in Köln und München vor. Und dann wollen wir in Hamburg einen Workshop zum Thema Drink-Fotografie durchführen: Wie machst du als Bartender Smartphone-Fotos, mit denen du deinen Drink perfekt präsentierst?

BCB: Ein Thema, bei dem ich als Schreibender auch noch etwas Weiterbildung gebrauchen kann. Merke ich mir vor. Vielen Dank, Christian.

Nach Stationen auf den Schiffen der AIDA, im „Lebensstern“, dem „Waldorf Astoria“ und dem „Cookies Cream“ (alle in Berlin) sowie in der Hamburger „3Freunde Bar“ war er der gebürtige Herforder Christian Gentemann sechs Jahre lang Chef der „Bar am Steinplatz“ in Berlin-Charlottenburg. Dort zeigte er, wie man das Thema Hotelbar neu denkt: Zusammen mit seinem Team setzte er viele ungewöhnliche und spannende Ideen um, zum Beispiel Karten mit ausschließlich transparenten, farblosen und ganz auf den Geschmack fokussierten Drinks. Er traute sich, Gin komplett von der Karte zu streichen und stattdessen Drinks mit westfälischem Doppelwacholder zu mixen.

Die Verleihung des Mixology Bar Awards für die „Hotelbar des Jahres“ (2017 und 2018) und die „Barkarte des Jahres“ (2019) fallen ebenso in seine Zeit am Steinplatz wie die Auszeichung zur „Innovativsten Bar des Jahres 2018“ der Fachzeitschrift FIZZZ. Das Magazin Falstaff kürte Gentemann 2019 zum „innovativsten Bartender“. Seit 2020 ist er als Creative Director F&B der Berliner PEAK Hospitality Group für alle gastronomischen Konzept der Gruppe mitverantwortlich.

Christian Gentemann ist neuer „Head of Education & Community“ der Deutschen Barkeeper Union e.V. 

Mehr Informationen zur DBU und seinen Weiterbildungs-Formaten: dbuev.de

 

 

*Tarek Nix ist zwischenzeitlich aus dem Berliner „Provocateur“ in die „Bar Lupo“ nach Zürich gewechselt, sein Platz im „DBU-Quartett“ für Aus- und Weiterbildung wird neu besetzt