Aus der Bar auf die Farm und zurück

 Im Gespräch mit Jean Trinh, Betreiber der Bar „Alquímico“ in Cartagena, Kolumbien 

© Jean Trinh

Bar ohne Namen

Entschlossen verweigert sich Savage, der Bar einen Namen zu geben. Stattdessen sind drei klassische Design-Symbole das Logo der Trinkstätte in Dalston: ein gelbes Quadrat, ein rotes Viereck, ein blauer Kreis. Am meisten wurmt den sympathischen Franzosen dabei, dass es kein Gelbes-Dreieck-Emoji gibt. Das erschwert auf komische Weise die Kommunikation. Der Instagram Account lautet: a_bar_with_shapes-for_a_name und anderenorts tauchen die Begriffe ‘Savage Bar’ oder eben ‚Bauhaus Bar‘ auf.

 

Für den BCB bringt Savage nun sein Barkonzept mit und mixt für uns mit Unterstützung von Russian Standard Vodka an der perfekten Bar dazu.

 

 

 

 

Als die Corona-Pandemie Kolumbien in einen harten Lockdown zwang, zog Barbetreiber Jean Trinh mit seinem Team aufs Land: Auf einer Farm bauen sie seitdem Zutaten in Bioqualität an und bringen unter dem Motto #fromthebartothefarm die enorme Biodiversität des Landes ins Glas. Für sein Engagement wurde der Franzose mit vietnamesischen Wurzeln mit dem „Altos Bartender’s Bartender“-Award bei The World’s 50 Best Bars ausgezeichnet. Auf dem diesjährigen Bar Convent Berlin stellt Trinh sein einzigartiges Konzept und die faszinierende Story dahinter vor. Wir hatten schon jetzt die Gelegenheit, mit ihm darüber zu sprechen. 


BCB: Jean, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Altos Bartender’s Bartender Award!

Jean Trinh: Vielen Dank! Ich fühle mich sehr geehrt und das gesamte Team ist happy. Die Auszeichnung bietet uns die Gelegenheit, der Welt zu zeigen, was wir hier in Kolumbien machen – nicht nur, was das Bartending betrifft, sondern auch die Landwirtschaft und das Handwerk.

Um das zu verstehen, müssen wir an den Anfang zurück gehen. Du hast ja vor einigen Jahren eine Farm gekauft. Warum eigentlich?

Jean: Als ich nach Kolumbien kam, stellte ich schnell fest: Die Informationen, woher das Obst im Supermarkt kommt, das Fleisch, die findet man auf den Produkten in Südamerika oft nicht so wie in Europa. Und ich träumte davon, alles selbst anzubauen. Die Kaffeeanbauregion (in der die Farm steht Anm. d. Red.) ist sehr fruchtbar. Es ist ruhig dort und unglaublich schön. 2018 erhielt ich die Möglichkeit, dort ein Stück Land zu kaufen, eine kleine Farm mit Kaffeepflanzen. Ich hatte geplant, dort viel für die Bar anzubauen, aber ich war so busy und so viel unterwegs, dass ich einfach nicht dazu kam.

Dann kam Corona.

Jean: Und es gab keinerlei Hilfe vom Staat. In vielen Läden wurden die Leute einfach von heute auf morgen gefeuert. Aber das Wichtigste in einer Bar ist das Team und ich wollte meine Leute auf keinen Fall entlassen.

Was habt ihr dann gemacht?

Jean: Zoom-Masterclasses. Dabei haben uns Freunde und Kollegen aus der ganzen Welt unterstützt. Daneben haben wir an den nächsten Karten und Menüs gearbeitet. Das war der Deal mit meinen Leuten: Ich zahle 100 Prozent des Lohns, wenn sie während der normalen Schichtzeiten online sind. Auf diese Weise konnte ich ihnen nicht nur etwas beibringen, sondern auch täglich sicher stellen, dass es allen gut geht.

Wie viele Leute wart ihr zu dem Zeitpunkt?

Jean: 55. 

Verantwortung für ein großes Team und eine enorme finanzielle Herausforderung.

Jean: Den ersten Pandemie-Monat haben wir so ganz gut herumbekommen. Aber ich habe mir große Sorgen gemacht, weil ich wusste, dass ich es nur noch einen weiteren Monat finanziell stemmen kann. Am 15. April habe ich mit meiner Familie in Frankreich telefoniert. Ich bin der Jüngste von sechs Geschwistern. Eine meiner Schwestern sagte mir, ich solle nicht so besorgt sein: Du kannst deine Leute doch mit auf die Farm nehmen! Was für eine dumme Idee, war mein erster Gedanke. Zu dem Zeitpunkt bestand die Farm nämlich nur aus einem Bambusdach, mehr nicht. Dann überlegte ich: Ist die Idee wirklich so dumm? Ich rief den Bauingenieur an, der das Dach errichtet hatte. Kann man das in ein Haus umbauen? Für über 50 Leute?

Was hat er geantwortet?

Jean: Er hat gesagt, das geht. Positiver kolumbianischer Vibe (lacht). Also habe ich ein Meeting einberufen: Ich habe zwei News für euch. Erstens: Ab dem 15. Mai kann ich euch nichts mehr zahlen, weil ich sonst bankrott gehe – und das wäre schlecht für uns alle. Aber zweitens: Wenn ihr in einem Monat mit mir auf die Farm geht, dann komme ich für alle Kosten auf – Umzug, Verpflegung und Baumaterial. Ihr müsst aber eure Wohnungen aufgeben, damit wir die Ausgaben überschaubar halten. Es ist unsere einzige Möglichkeit. Ich habe ihnen natürlich ein paar Tage Bedenkzeit gegeben. In der Zwischenzeit habe ich mit Leuten aus der Branche telefoniert: „Verrückt", „größte Hippie-Idee, von der ich je gehört habe", solche Antworten bekam ich.

Wie viele aus dem Team haben gesagt: Ich komme mit?

Jean: Die Hälfte – vor allem diejenigen, die nicht aus Cartagena stammen und keine Verwandten hier haben. Dass die anderen bei ihren Familien bleiben wollten, in dieser Situation, konnte ich gut verstehen. Einige von ihnen arbeiten mittlerweile wieder bei mir. Es sind damals auch zwei Kinder mit uns aufgebrochen, zu dem Zeitpunkt zwei und vier Jahre alt.

Es klingt wie der Anfang eines Films: Eine Gruppe Leute verlässt eine Stadt im Lockdown in Richtung einer weit entfernten Farm. Was war der erste Eindruck, als ihr dort angekommen seid?

Jean: Wir haben sofort festgestellt: Unter dem Bambusdach können wir nicht leben, erst recht nicht mit den Kindern. Das war kein gutes Gefühl. Alle hatten ihre Wohnungen gekündigt. Es war ja kein lustiger Wochenendtrip, wir wussten nicht, wie lange wir bleiben würden! Wir konnten dann zum Glück in einem Bauernhof in der Nähe übernachten und sind morgens zum Arbeiten zu unserem gegangen.

© Jean Trinh

Ihr habt euch in zwei Gruppen aufgeteilt, las ich. Eine für den Hausbau und eine für die Landwirtschaft.

Das Lustige dabei: Alle Frauen in meinem Team wollten in die Baugruppe. Wir wollen das lernen, haben sie mir gesagt. Wir hatten fünf ältere Handwerker für die Bauarbeiten engagiert. Als sie die Mädels sahen, mit blauen Haaren, Tätowierungen und in Shorts … die Gesichter! No way! (lacht). Aber es lief dann doch: Zuerst hat man ihnen gezeigt, wie man mauert, doch sie wollten noch viel mehr lernen, Betonmischen und und und. 

Bartending ist ja schließlich auch ein Handwerk!

Nach drei Wochen rief der Besitzer der Farm an, auf der wir schliefen. Er brauche in drei Wochen die Schlüssel zurück, weil er den Hof verkauft hatte. Also haben wir sofort alle am Bau mitgeholfen, weil wir ja bald umziehen mussten. Nach insgesamt sechs Wochen sind wir dann in unsere Farm umgezogen.

Was habt ihr angebaut? Ich nehme an, in erster Linie Feldfrüchte zur Selbstversorgung?

Klar. Ich habe schon in den ersten Lockdown-Wochen am Rechner gesehen, dass sich einige im Team körperlich veränderten und zugenommen haben. Sie haben sich fettiges Essen bestellt und sich kaum bewegt (in Kolumbien durfte man während des Lockdowns die Wohnung so gut wie gar nicht verlassen, Anm. d. Red.). Ich habe gleich zu Beginn gesagt: Wir bestellen hier keine Pizzen und Burger, das können wir uns auch gar nicht leisten. Wir essen sechs Tage die Woche das, was wir hier anpflanzen, sonntags machen wir ein Barbecue. Die meisten waren Vegetarisches gar nicht gewohnt und sehnten sich extrem nach Fleisch. Aber weißt du was, schon nach dem ersten Sonntag wollten sie lieber weißes Fleisch, dann Fisch … und nach einem Monat wollten praktisch alle nur noch vegetarisch essen, weil sie die positive körperliche Veränderung gespürt haben. Ein Mitarbeiter hat gleich 28 Kilogramm an Gewicht verloren. Und es trat nicht nur eine physische, sondern auch eine mentale Verbesserung ein. An der Bar siehst du nicht wirklich, wie es den Menschen geht. Am Tresen sind viele selbstbewusst, aber im Privatleben sieht es oft ganz anders aus

Das klingt alles faszinierend. Aber wenn so eine große Gruppe auf engem Raum lebt, da gibt es doch sicher Gruppendynamiken, Streit?

Ich habe gleich zu Anfang gesagt: Leute, das Schwierigste wird nicht die Arbeit sein, sondern das Zusammenleben. Wir verbringen hier nicht nur acht Stunden Schicht zusammen, sondern 24 Stunden am Tag. Wir sind viele und viele Charaktertypen. Bartender … kannst du dir ja vorstellen (lacht). Ich musste am Anfang viele Regeln aufsetzen und niederschreiben. Eine war: Wenn es jemand mal zu viel wird, bitte den Tisch verlassen und rausgehen. Wir respektieren das. Ist ja auch total nachvollziehbar, dass das passiert. Aber wenn nur einer oder zwei sich nicht gut verhalten, kann das Ganze hier schnell kippen. Ich muss aber rückblickend sagen: Wir hatten eine großartige Zeit, die ich niemals vergessen werde. 

Die Bar hat längst wieder geöffnet und die Farm versorgt sie mit pflanzlichen Zutaten. Was baut ihr an?

Das Land ist elf Hektar groß, ungefähr die Hälfte haben wir mit heimischen Bäumen wiederaufgeforstet. Auf dem Rest haben wir 400 Zitrusbäume gepflanzt, zehn verschiedene Arten. Auf die Zitrusfrüchte, abgesehen von einigen, die wir von Bestandsbäumen ernten können, müssen wir noch ein paar Jahre warten. Aber aromatische Kräuter, Kaffee und Gemüse haben wir schon jetzt. Und Kokapflanzen.

Für Drinks?

Kokapflanzen haben in Kolumbien eine lange Tradition. Mambe (Pulver aus gerösteten Blättern, Anm. d. Red.) wurde von den Ureinwohnern für medizinische Zwecke verwendet und bei wichtigen Treffen gereicht. Wir machen damit zum Beispiel einen Cordial für unseren Cocktail „Ayu“. Und überhaupt ist es ein Trend in der Gastronomieszene des Landes geworden, Kokablätter zu verwenden. Die Köche wollen so eine anderes Image dieser großartigen Pflanze vermitteln.

Wie funktioniert das Ganze logistisch? Die Farm ist ja über 800 Kilometer von der Bar entfernt.

Wir haben ja ständig ein Team auf der Farm und produzieren alles vor: Sirupe, Cordials, Honig und so weiter. Drei- bis viermal im Monat schicken wir eine große Lieferung nach Cartagena. Die Logistik in Kolumbien ist nicht die beste, es dauert mehrere Tage, bis sie ankommt. Das müssen wir dabei berücksichtigen.

Und wie wirtschaftlich ist dieser Aufwand? Kann man das überhaupt ins Verhältnis mit herkömmlicher Beschaffung setzen?

Man kann es kaum vergleichen. Zumal ich viele der Zutaten bei normalen Lieferanten gar nicht bekomme. Klar, es ist eine große Investition, aber sie hilft uns täglich immer mehr. Ich verstehe es auch als Fortbildungstool, für das Team und die Gäste – weil wir ihnen erzählen und erklären können, woher die Zutaten kommen. Und sie zahlen gerne dafür. Die 400 Zitrusbäume werden uns in den kommenden Jahren viele Früchte in Bioqualität schenken. Das ist wundervoll! Gäste, denen ich unsere Farm gezeigt habe, sagen: Wenn es bei mir schief laufen sollte, ziehe ich zu dir (lacht)! Ich selbst bin mittlerweile mehr auf der Farm als in der Bar oder reise umher, um mich mit anderen Erzeugern auszutauschen.

Planst du, das Ganze noch größer zu machen und andere Gastronomien einzubeziehen?

Wir beliefern bereits einige Freunde, die Restaurants und Bars haben. Wir teilen auch Informationen und Kontakte, um die Verkäufe unserer Erzeuger-Partner zu fördern. Aber ich will kein Großbauer werden (lacht). Und die Wertschätzung und das Verständnis für biologisch erzeugte Produkte ist Kolumbien bei Weitem noch nicht so hoch wie in Europa, sodass viele wohl nicht bereit wären, mehr dafür zu bezahlen. Für uns aber funktioniert es: Unsere Bar ist groß, drei Etagen, wir verbrauchen enorm viel. Und wir lernen immer noch so viel, jeden Tag. Es gibt noch viel zwischen Farm und Bar zu optimieren. Wir machen das ja erst seit zweieinhalb Jahren, es ist immer noch jung.

Jean, vielen Dank und alles Gute euch. 

www.alquimico.com


Main Stage

Monday, 10th Oct

18:00 - 19:00

 

Am 11. Oktober (Dienstag) gibt es in der Neuköllner Bar „Wax On!“ ein Takeover des „Alquímico“ mit Jean Trinh. Er wird u.a. den Cockail „Ayu“ mit Whiskey, Koka- und Zitronenstrauch-Cordial mixen. Präsentiert von Monkey Shoulder. Mehr Infos hier.