Less is more: Manhattan
© Damien Guichard
Damien Guichard wird kreativ mit dem klassischen Manhattan.
Ein Gast betritt eine Bar…
… und bestellt einen Drink. Er mag ihn so sehr, dass er grinsend sagt: „Ich könnte noch einen nehmen… oder vielleicht etwas Ähnliches, aber doch anders.“
Hier ist der Punkt: Die meisten Gäste interessiert es nicht, wie viele kreative Hürden du überwunden hast, um ihren Cocktail zu kreieren. Was sie wirklich interessiert, ist, ob du sie verstehst. Wenn du ihren Geschmack triffst, überlassen sie dir gerne die Kontrolle und lassen dich den Abend lenken – ohne Zweifel, ohne Reue beim Getränk.
Da die Barbranche derzeit eine kleine Durststrecke durchmacht (Wortspiel beabsichtigt) – die Leute trinken weniger und geben weniger aus – kürzen viele Bars ihre Angebote. Weniger „schickes Zeug“, mehr durchdachte Einfachheit. Aber verwechsel Einfachheit nicht mit Leichtigkeit. Genau hier entstand die Idee für „Less is more“: Wie bewahrst du den Funken Kreativität, wenn du dir selbst drastische Einschränkungen auferlegst?
Die Regel? Ganz einfach: Nimm einen klassischen Cocktail, entferne eine Zutat und ersetze sie durch etwas Neues. Die Alchemie, die daraufhin entsteht – wie die neuen Elemente zusammenwirken und wie du die Rezeptur anpasst – ist der Ort, an dem die Magie lebt.
Für diese erste Runde nehmen wir uns die Mutter aller Cocktails vor: den Manhattan.
Jeder Bartender, der etwas auf sich hält, kann einen zubereiten: zwei Teile Spirituose, ein Teil Wermut und ein Spritzer Bitters als Würze. Aber die Wurzeln des Manhattan sind chaotischer, als man denkt – frühe Rezepte enthielten alles von Dry Curaçao und Absinth bis hin zu Maraschino und Zuckersirup.
Eines ist jedoch konstant geblieben: Der Manhattan ist genauso sehr ein Wermut- wie ein Whiskey-Drink. Tatsächlich verlangen einige Old-School-Versionen nach gleichen Teilen von beidem. Also habe ich mich entschieden, daran zu rütteln. Ich habe den Wermut entfernt. (Dramatische Pause.)
Ja, ich habe das süße, samtige Rückgrat des Drinks herausgenommen und mich der Herausforderung gestellt, dieses Gleichgewicht mit etwas völlig anderem wiederherzustellen. Das ist kein kleiner Schritt – Wermut bringt eine süße Wucht mit, oft mit etwa 150 g Zucker pro Liter. Unser Referenz-Wermut kommt auf satte 190 g/L, fast auf Likör-Niveau.
Was also tun, wenn man diese zuckrige Sanftheit entfernt? Dem Wesen des Manhattan treu bleiben: boozy, bittersüß, kräuterig und aromatisch. Und dann mit cleverem, lokalem Flair neu aufbauen.
© Damien Guichard
Darf ich vorstellen: Riesling Auslese – ein reichhaltiger, süßer österreichischer Weißwein mit eleganter Frucht und Säure. In der Nebenrolle: Himbeergeist, ein traditioneller Fruchtbrand aus dem deutschsprachigen Raum. Stell dir Himbeeren vor, die in neutralem Getreidealkohol eingelegt und zu klarer Brillanz destilliert werden.
Da der Wein immer noch trockener ist als Wermut (84,7 g Zucker/L vs. unsere ursprünglichen 190 g), schleichen wir ein wenig Simple Syrup ein, um das Ganze abzurunden.
Und schließlich ein Hauch Anislikör – eine Hommage an meine Wurzeln und die frühen Manhattan-Varianten.
Das Ergebnis? – Ein Manhattan...? Klar, nennen wir es so.
Der „Manhattan...?“
• 40 ml Bourbon
• 30 ml Riesling Auslese
• 10 ml Himbeergeist
• 1,25 ml Anislikör
• 1,25 ml Simple Syrup
Gerührt und in eine gekühlte Coupette abgeseiht. Garniert mit einem Kuss.
Cheers auf „Less is more“ – und darauf, etwas Ähnliches zu finden, das gerade anders genug ist.
© Damien Guichard