„Sterne“ für die Barwelt?
Für Spitzenrestaurants und Gourmets ist der Guide Michelin der Goldstandard: Ein, zwei oder gar drei Sterne – seit langer Zeit ein global akzeptiertes Bewertungssystem. Für die Barwelt gibt es so etwas nicht. Noch nicht: Denn der „Pinnacle Guide“ will nun diese Lücke schließen. Ein komplexes Unterfangen, wie Hannah Sharman-Cox und Siobhan Payne auf dem BCB 2022 in ihrem Zwischenbericht darlegten.
Der berühmte „Guide Michelin“ hat eine lange Tradition: Die erste Ausgabe wurde zur Weltausstellung 1900 vorgestellt. Anfangs ein reines Tankstellen- und Werkstatt-Verzeichnis aus der Touristikabteilung des französischen Reifenherstellers (Autos gab es seinerzeit bekanntlich wenige, Zapfsäulen und Reparaturstätten waren rar), wurde er schnell zum Reiseführer, unter anderem mit kulinarischen Tipps. Schließlich brauchten die Gutbetuchen, die sich in jener Zeit ein Automobil leisten konnten, ja attraktive Reiseziele. Unterwegs fuhren sie ihre Reifen ab und brauchten alsbald neue. Geniales Marketing! Die Kriterien für einen, zwei oder drei Sterne tragen diese Idee bis heute in sich, stehen sie doch für „einen Halt wert“ (ein Stern), „einen Umweg wert“ (zwei Sterne) oder „eine Reise wert“ (drei Sterne). Heute, fast 125 Jahre später, ist der Guide Michelin immer noch der Goldstandard für die Gourmet-Gastronomie.
Flüssige Sterne?
In der Barwelt gibt es nichts Vergleichbares. Gut, es gibt Formate wie „The World’s 50 Best Bars“ oder nationale Awards, doch eben kein weltweites Bewertungssystem. Diese Lücke will nun „The Pinnacle Guide“ schließen. Ziel ist ein Bewertungssystem, welches – und das ist wesentlich – auch für Menschen außerhalb der Bar-Blase transparent und nachvollziehbar ist. Hannah Sharman-Cox und Siobhan Payne von der „London Cocktail Week“ haben das Projekt zusammen mit Dan Dove von „Global Bartending“ ins Leben gerufen. Auf dem Bar Convent Berlin 2022 präsentierten Sharman-Cox und Payne dem Fachpublikum einen Zwischenbericht.
Intensive Round Tables
Seit einem guten halben Jahr hat man mit dem „Pinnacle Guide“ bereits in digitaler Klausur: Zusammen mit fast 40 Bar- und Branchenprofis aus der ganzen Welt wird in Roundtable- und Eins-zu-eins-Gesprächen die Struktur des Systems ausgearbeitet. Was wird bewertet? Wie wird bewertet? Wer bewertet? Fragen über Fragen. Satte 13 Stunden Online-Diskussion kann man sich dazu auf der Webseite anschauen, es gibt aber auch kurze Zusammenfassungen der digitalen runden Tische. Bereits geklärt, so die Initiatorinnen, sind diese Punkte:
– Bars dürfen sich selbst nominieren. Niemand muss, jeder kann mitmachen
– Bars werden mehrere Male besucht, bevor sie bewertet werden
– um Bewertende*r zu werden, kann man sich bewerben, durchläuft dann eine Schulung und bewertet lokal und anonym
– Bars können überall nominiert werden, nicht nur in den „Bar-Metropolen“, sondern auch „in the middle of nowhere“
– von der durch den Guide geschaffenen Aufmerksamkeit sollen auch diejenigen Bars profitieren können, die keine großen PR-Budgets haben, es soll ein „level playing field“ sein
Bewertet wird das Gesamtpaket
Hierin offenbaren sich einige Unterschiede zum „Guide Michelin“: Dort wird allein die Küchenleistung bewertet, sprich was auf den Teller kommt und wie es schmeckt. Wie das Restaurant eingerichtet ist: egal. Wie der Service ist: auch. (Wo wir gerade dabei sind:„Sterneköche“ gibt es eigentlich gar nicht, denn die Sterne erhält stets das Restaurant (mehr dazu hier). Der „Pinnacle Guide“ hingegen wird ein Gesamtpaket aus u.a. Getränkeangebot, Servicequalität/Gastfreundschaft, Ambiente, Nachhaltigkeit, Diversity sowie Team-Wohlbefinden. Ein ganz wesentlicher Unterschied. In so manchem Sternerestaurant herrschen auch heute noch Arbeitszustände, die lediglich auf eines abzielen: Mit allen Mitteln, Ausbeutung von Praktikanten und Verschwendung von Food-Ressourcen inklusive, die erhaltenen Sterne zu verteidigen.
Doch eben diese Vielheit, die man im „Pinnacle Guide“ zugrunde legen will, macht es kompliziert, wie Sharman-Cox und Payne in ihrem Talk offen legen.
Wie selbstähnlich ist eine Bar?
Erstes Beispiel: Geschmack und Angebot. Ob es mundet, das Konzept und das Bar-Menü gut sind, lässt sich nicht schablonenhaft einordnen. Muss eine Bar zwangsläufig die Klassiker im Sortiment führen, um verglichen werden zu können? Das Ergebnis langer Gespräche mit den Round-Table-Expert*innen: nein, muss sie nicht. Vielmehr geht es um Selbstähnlichkeit: Erfüllt ein Konzept die Ansprüche, die es für sich erhebt? Passt das Angebot zu dem, was man sein will? Ist die Bar, beispielsweise eine auf Whiskey spezialisierte Bar, eine gute Whiskey-Bar? Wenn ja, dann ist sie auch eine gute Bar, so Sharman-Cox und Payne. Ein erstklassiges Sushi-Restaurant erhält ja auch Sterne, wenn es im Fleischbereich logischerweise eher wenig zu bieten hat.
Wie misst man Gastlichkeit?
Zweites Beispiel: Hospitality. Wie misst man Gastfreundschaft und Servicequalität? Eine Hotelbar „funktioniert“ dahingehend ganz anders als eine verr(a)uchte Divebar oder eine lässige Strandbar. Spannend: Man will nun mit Psycholog*innen hinzu holen, um Kriterien dafür zu formulieren, was gegeben sein muss, damit Menschen sich willkommen fühlen. Leicht machen es sich die Menschen hinter dem künftigen Bar-Bewertungssystem wahrlich nicht.
Und Nachhaltigkeit?
Drittes und letztes Beispiel: Wie soll man Nachhaltigkeit (global) vergleichen? Man müsse die lokalen Gegebenheiten, zum Beispiel das Entsorgungs- und Recyclingsystem im Lande, mit berücksichtigen, ebenso die finanziellen Ressourcen der jeweiligen Bar. Letztlich geht es, so die Initiatorinnen, darum, mit dem Guide Anreize zu schaffen: Wer mit dabei sein will, möge sich in seinen Möglichkeiten nachhaltig engagieren.
Der erste Pinnacle Guide kommt im Herbst 2023
Es sind noch einige weitere wichtige Fragen offen. Was sind die Unterschiede zwischen einem, zwei oder drei Pins? Wie werden Voreingenommenheit und Manipulation verhindert, wenn man mit Freiwilligen arbeitet und nicht mit bezahlten Testern wie Michelin? To be discussed. Wie geht es nun weiter? Im April 2023 sollen die Kriterien veröffentlicht werden, es folgt eine einmonatige für alle offene Feedback-Phase – die Rückmeldungen werden eingearbeitet. Dann können sich Bars bewerben und ebenso die Bewertenden. Geplant ist, im Herbst 2023 den ersten „Pinnacle Guide“ zu launchen und im Anschluss nicht als jährliches Event, sondern rollierend. Immer dann, wenn eine Bar einen Pin erhält, oder zwei, oder drei, gibt es also Neuigkeiten.
Gestartet wird zunächst wohl in nur sechs Ländern, es sollen jedoch alsbald 50 werden, so Sharman-Cox und Payne. Auch der Guide Michelin ist einst klein gestartet – die ersten Empfehlungen gab es nur fürs Heimat- und Schlemmerland Frankreich.
Mehr Informationen:
The Pinnacle Guide