Ein Ratatouille-Moment für jeden Gast – Storytelling in der Bar mit Ryan Chetiyawardana
Wie wird ein Barbesuch zu einem bleibenden Erlebnis – und wie wird der Gast in eine faszinierende Geschichte hineingezogen? In seinem BCB-Talk verriet Ryan Chetiyawardana, was erfolgreiches Storytelling ausmacht.
Die zentrale Szene in „Ratatouille“: Der gefürchtete, zynische Restaurantkritiker Anton Ego nimmt den ersten Happen des rustikalen französischen Gemüsegerichts, das dem Pixar-Film seinen Namen gibt. Etwas Magisches passiert: Er wird in seine Kindheit zurückversetzt. Der Sturz vom Rad, die fürsorgliche Mutter, die das weinende Kind mit einem warmen Ratatouille tröstet. Wärme, Liebe, Geborgenheit – alles kehrt mit einem Bissen zurück. Ein echter Gänsehautmoment!
Ein Glücksmoment – aber nur ein Zufallstreffer für Gast und Restaurant? Oder lässt sich so etwas bewusst herbeiführen? Genau das, so erklärte Ryan Chetiyawardana in seinem Talk „Storytelling and how it maximises creativity and hospitality“ beim Bar Convent Berlin 2025, sollte Ziel jedes Barbesuchs sein. „Wie schaffen wir es, dass solche Dinge nicht einfach passieren, weil die Sterne günstig stehen?“, fragte er ins Publikum.
Der Brite ist vielfach ausgezeichnet: „International Bartender of the Year“ bei den Tales of the Cocktail 2015, „World's Most Influential Bar Personality“ 2019 und gleich dreimal „World’s Best Bar“ für seine Konzepte „White Lyan“, „Dandelyan“ und „Lyaness“. Mit dieser Erfahrung erklärte er dem Fachpublikum, worauf es ankommt.
Die Bar: Plattform für das Makro-Thema
Chetiyawardanas erste Erkenntnis: Storytelling in der Bar ist ein vielschichtiges Unterfangen. Gäste, die sich lange Geschichten anhören wollen, findet man selten. Ebenso wenig Mitarbeitende, die dafür Zeit und Muße haben.
Doch die Bar selbst bietet viele Möglichkeiten, eine Basis für Storys zu schaffen: Beleuchtung, Musik, Ambiente, Temperatur, Texturen, Drinks – all das trägt zum „Makro-Thema“ bei. Darauf bauen individuelle, drinkspezifische „Mikro-Themen“ auf.
Ein Beispiel ist die „Seed Library“ in London (und bald auch in New York). Chetiyawardana schuf hier einen fast wohnzimmerartigen Ort mit analoger Musik, inspiriert von japanischen Jazzcafés. Eröffnet Anfang 2022, bot sie genau das, was Menschen nach der Pandemie suchten: Verbindung, Gemeinschaft, Wärme und Zwischenmenschlichkeit.
Universell zugängliche Storys öffnen die Tür
Damit eine Story funktioniert, braucht es eine grundsätzliche Verbindung zum Gast. Doch Gäste sind selten Freunde oder Bekannte, mit denen man Erlebnisse teilt. Oft kommen sie aus völlig unterschiedlichen Kontexten, Kulturen und Ländern.
Wie also eine Brücke bauen? Chetiyawardanas Rat: universelle Themen wählen. Im „Silver Lyan“ griff sein Team im Sommer 2025 das Thema „Butterfly Effect“ auf. Die Frage: Wie wird der Effekt aus der Chaostheorie – kleine Veränderungen mit großen Folgen – in verschiedenen Kulturen verstanden?
Ein ganzes Jahr lang tüftelte die Barcrew an der Karte. Am Anfang stand nur eine Frage: Was interessiert euch an diesem Thema? Was ist erzählenswert für unsere Gäste? Es wurde gesammelt, ausgewertet, verworfen – und Neues entwickelt.
Aromen bauen starke Brücken
Universelle Themen brauchen eine universelle Sprache. Aromen eignen sich perfekt dafür: Trotz aller kulturellen Unterschiede versteht man sie überall.
Warum ist Vanille der globale Liebling? Weil es an den Geschmack von Muttermilch erinnert, so Chetiyawardana. Wichtig sei die Unterscheidung zwischen „taste“ – dem reinen Geschmack – und „flavour“, dem vielschichtigen Aromaerlebnis.
Wer nur nach Formeln arbeitet – 4:2:1 für einen Sour, 8:4 für Longdrinks – serviert zwar gut balancierte Drinks. Doch für Storytelling reicht das nicht. Aromen beeinflussen unsere Wahrnehmung, befriedigen Bedürfnisse und wecken Gefühle. Sie sind ein ideales Werkzeug, um Geschichten erlebbar zu machen. (Chetiyawardana empfiehlt dazu das Fachbuch „Flavorama“ von Arielle Johnson.)
Allegorien erzeugen Spannung, Freude und Begeisterung
Reine Fakten sind keine Geschichten, betont Chetiyawardana. Herstellungsverfahren oder Historie von Spirituosen mögen Kenner faszinieren, nicht aber die meisten Gäste. Begeisterung entsteht durch Allegorien und Sprachbilder. Ein Beispiel: 2022 präsentierte das „Lyaness“ den Drink „Tornado Sazerac“. Die Stadt Moore in Oklahoma wurde über 20 Mal von Tornados zerstört – und jedes Mal wiederaufgebaut. Ein beeindruckendes Beispiel für Resilienz. Die allegorische Herangehensweise war ungewöhnlich und geheimnisvoll. Viele Anwohner berichteten, dass die Luft kurz vor einem Tornado wie ein sich entzündendes Streichholz rieche. Perfekt für eine Story.
Make it delicious!
Man hätte es dabei belassen können, diesen Bezug auf die Karte zu schreiben oder ins Gespräch einzubauen. Doch das Team ging weiter. Es entwickelte eine „struck match grenadine“ und kombinierte Cognac und Scotch mit opulent duftendem Agarholz. Abgerundet wurde die Sazerac-Adaption durch die dramatischen „Death Bitters“.
Das Ergebnis: Gäste, die sonst nie einen robusten Sazerac bestellen würden, ließen sich von Story und Aromen fesseln. Und viele erlebten wohl einen Moment wie Anton Ego in „Ratatouille“.
Storytelling in 5 Schritten – Ryan Chetiyawardanas Tipps
- Situation: Was ist unser Anlass? In welches Thema wollen wir eintauchen?
- Kollaboration: Wie können wir uns als Team – mit unseren Interessen, Fähigkeiten und Hintergründen – ergänzen, herausfordern, unterstützen?
- Relevanz: Ist die Story auch außerhalb unseres Kreises interessant? Wenn ja: Wie bringen wir sie an unsere Gäste? Welche Elemente und Mittel nutzen wir?
- Allegorie: Fakten beiseite! Metaphern und Symbole bringen Spannung, Freude – und öffnen Raum für eigene Interpretationen.
- Ausführung: Mache es erlebbar – und den Drink köstlich.