Nachhaltigkeit größer gedacht: Der Community Plan von „The Cambridge Public House“

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Die Plastikstrohhalme wurden abgeschafft? Der organischen Müll reduziert? Schön und gut. Doch wie groß man das Thema Nachhaltigkeit in der Bar denken und gestalten kann – nämlich so, dass sie einen positiven Impact für die lokale und globale Community hat und das Team zu einer Purpose-Gemeinschaft wird, veranschaulichte The Cambridge Public House auf dem Bar Convent Berlin 2023.

Jedes Jahr gebe es diesen einen Vortrag auf der Messe, der bei ihm eine Gänsehaut hervorrufe, so schloss Angus Winchester, Global Director of Education des BCB, den Talk am Mittwochmittag. 2021 war es für ihn die Präsentation von Louisa Dodd von der „Sustainable Restaurant Association“ (Interview hier), im vergangenen Jahr jene von Jean Trinh und Team vom „Alquímico“ in Kolumbien (Interview hier). Und dieses Mal sorgten Hyacinthe Lescoët und Hugo Gallou aus dem „The Cambridge Public House“ in Paris dafür, so Winchester. 

Ein Konzept, das über den Betrieb hinausragt

Warum? Weil sich hinter dem bodenständigen Bar-Pub-Konzept, das seit Anfang 2019 Cocktail- und (britische) Kneipenkultur im Stadtteil Marais vereint, ein geradezu beispielloser und vorbildlicher Nachhaltigkeitsansatz verbirgt. Nein, „The Cambridge Public House“ ist keine Zero-Waste-Bar, kein darauf ausgerichteter Betrieb, das Letzte aus jeder Zeste herauszuholen. Vielmehr hat sich das siebenköpfige Team um die Gründer Hyacinthe Lescoët und Hugo Gallou über die Jahre ein Konzept erarbeitet, das weit über die eigenen vier Wände hinausragt.

Zu ihrem BCB-Talk hatte das Duo, das erkannte man auch schnell selbst, viel zu viele Folien mitgebracht, um alles zeigen und erklären zu können, was man tut. Doch kein Problem: Auf der eigenen Webseite sind die Präsentationsunterlagen ebenso zu finden wie ein ESG-Bericht (Umwelt, Soziales, Führung) wie auch eine Auswertung des betriebseigenen CO2-Ausstoßes.

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Dreiklang aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit

Halten wir kurz inne: Da ist ein kleiner Cocktailpub in Paris, der sowohl einen Bericht vorlegt, den eigentlich nur große, börsennotierte Firmen vorlegen müssen, als auch haarklein und entsprechend teuer hat analysieren lassen, wieviel man emittiert und wo man besser werden kann. Man investiert Zeit und Geld, weil man für sich erkannt hat, dass mit der wirtschaftlichen Tätigkeit auch eine gesellschaftliche Verantwortung einher geht. Nachhaltigkeit in seinen drei Dimensionen – ökologisch, ökonomisch und sozial (mehr dazu hier) erzeugt hier einen harmonischen Dreiklang. Das Spannende und Clevere dabei: Im „The Cambridge Public House“ hat man erkannt, dass man durch einen Ansatz, der die Menschen und die Community ins Zentrum stellt, besonders viel erreichen kann.

Ein paar Beispiele:

Investition ins Team: „Staff happiness tools“ wie 100% Übernahme der Krankenversicherung, 4-Tage-Woche, Boni am Jahresende und Teambuildings sorgen für eine gute Stimmung und sehr wenig Fluktuation.

Fundraising und Charity: ein integraler Bestandteil des Konzepts, man nennt es „Cambridge Charity Group“: Regelmäßig finden Events und Aktionen statt, bei denen man Geld für soziale Zwecke einsammelt. Drinks, die bald von der großenteils saisonalen Karte gehen, werden als „last chance“ verkauft und ein Teil der Erlöse wird gespendet. Auch das Team selbst spendet einen Teil seines Gehalts. 

Schulung und Austausch: Unter dem Namen „Cambridge Global Series“ finden sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene Events statt. Man veranstaltet Masterclasses und Workshops, um u.a. die Verwendung saisonal-regionaler Zutaten, die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten und eine ethische Verantwortung zu fördern.

Transparenz: Mit Zahlen – der Fachbegriff dafür lautet „open book management“ geht man offen um. 2022 betrug der Umsatz eine halbe Million Euro, 50.000 Produkte (30.000 davon Cocktails) wurden verkauft, 7.000 Euro gingen in soziale Zwecke – dieses Jahr, so die Prognose, werden es schon rund 13.000 Euro sein. Möglich ist dies auch, weil man seit dem vergangenen Jahr in der Gewinnzone befindet und schwarze Zahlen schreibt.

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Zu viel CO2

Aber: Es gibt auch Zahlen, die dem „The Cambridge Public House“ zu denken geben, wie man beim BCB-Talk unterstrich. Die Analyse per „Bilan Carbone“, einem von der französischen Agentur für Umwelt und Energiemanagement (ADEME) lancierte Methode, ergab: Der CO2-Fußabdruck des Betriebs ist viel zu hoch. Ein Großteil der insgesamt 85 Tonnen Emissionen, nämlich fast 44%, entstand bei den zahlreichen Flugreisen zu internationalen Events und anderen Anlässen. Der zweitgrößte Anteil, fast 28%, wurde in der Wertschöpfungskette durch die von den Lieferanten erzeugte Ware verursacht. Auch dies muss ehrlicherweise eingerechnet werden.

Drei zentrale Learnings, so erklärten Lescoët und Gallou, ergaben sich aus diesem Kassensturz:
– die Emissionen müssen runter
– man reiste bisher vor allem, um sich & seine Bar zu vermarkten
– man leistet mit seinen Aktivitäten zu wenig Hilfe für die lokale wie für die globale Community

10,5% weniger Emissionen als Sofortmaßnahme

Einige „quick wins“ dieser Analyse sind,
– dass man im Foodbereich Rind gegen Huhn ersetzt hat (und keinen Gast stört es), drei Tonnen weniger CO2
–  dass man mehr mit dem Zug reise (und dies auch im Ausland mit Kombinationen aus An- und Abreise per Flugzeug und Zwischenreisen mit dem Zug), vier Tonnen weniger
– und dass man das Craftbier nun aus Frankreich beziehe, statt dass es per Kühltransport aus Großbritannien kommt. Das französische Angebot sei mittlerweile gut genug dafür, fügte man mit Augenzwinkern hinzu. 1,1 Tonnen CO2 weniger.

Ergebnis der Sofortmaßnahmen: 10,5% weniger Emissionen – und natürlich will man sie noch weiter senken.


SDGs konkret: Cambridge Community Plan

Ein längerfristig angelegtes Projekt ergab sich aber auch aus der Analyse. Man nennt es den „Cambridge Community Plan“, und was klingt wie ein Entwicklungsvorhaben der Unistadt nördlich von London, ist tatsächlich ein überaus ambitioniertes Vorhaben, das die Nachhaltigkeitsziele der UN, die „sustainable development goals“ (SDGs), in konkrete Handlungen übersetzt. Die Idee: Wenn man schon unterwegs ist und die Botschaft des „The Cambridge Public House“ in die Welt trägt, dann fortan so, dass man damit einen greifbaren positiven Beitrag leistet – vom Marketing zum Purpose.

Jedes Teammitglied hat sich eines der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele herausgepickt und auf dessen Basis eine zweiteilige Maßnahme entwickelt – einmal auf lokaler Ebene, einmal auf international-globaler. In beiden Fällen soll sich auch für die Bar ein positiver Effekt, etwa eine Verbesserung in den Arbeitsprozessen oder der Aufbau einer langfristigen Partnerschaft, ergeben.

Drei Beispiele:

Mitarbeiterin Léa hat sich dem Ziel „Zero Hunger“ angenommen und unterstützt die Initiative „Organigamente Rango“ in Sao Paulo ebenso wie sie ein lokales Netzwerk aus Gastronomien aufbauen will, das Lebensmittel spendet, statt sie zu entsorgen. Auch mit Pariser Gastgewerbe-Schulen will man dazu kooperieren.

Hyacinthe Lescoët macht das SDG „Quality Education“ konkret: Ein Laufclub Pariser Bartender in Zusammenarbeit mit Pernod Ricard sorgt nicht nur für mehr Sportlichkeit, sondern sammelt auch Geld, u.a. um Internet in mexikanische Dörfer zu bringen, Lehrer zu bezahlen und Geflüchteten in Frankreich Zugang zu Aus- und Weiterbildung zu verschaffen.

Mitarbeiterin Nico bearbeitet das SDG „Consumption & Production“: In Bangkok wird sie im November mit lokalen Bars einen Workshop veranstalten, in dem es um Abfallvermeidung, Upcycling und Co. geht, sodass die Betriebe die Learnings dauerhaft umsetzen können. In Paris macht sie das Gleiche bereits, sammelt Müll mit Kollegen und baut ein Netzwerk auf, um Ideen für Abfallvermeidung auszutauschen.


Auch die Team-Community profitiert

Es sind viele kleine Details, die sich zu einem großen Ganzen addieren – und dafür sorgen, dass das Team sich noch verbundener mit der Bar fühlt. Man spare dadurch eine Menge Geld für Such- und Rekrutierungskosten, erklärt man dem BCB-Fachpublikum. Geld, dass in lokalen und internationalen Community-Projekten deutlich bessere Verwendung findet. Mehr Infos zum „Cambridge Community Plan“, dem ESG-Bericht und der CO2-Analyse:
www.thecambridge.paris/en/o/esg-report