„Bartender sind für die Öffentlichkeit, was Lobbyisten für Politiker sind“

© Alex Negranza

Schwulen, lesbischen, bisexuellen und non-binären Geschlechtsidentitäten innerhalb der Barwelt zu mehr Sichtbarkeit und Sicherheit zu verhelfen, ist das Ziel von G.L.A.S.S., der Gay & Lesbian Alliance for Spirited Sipping aus den USA. Mit ihrem Geschäftsführer und Bartender Alex Negranza sprach Jan-Peter Wulf über „straighte“ und „schwule“ Bars, die gesellschaftliche Wirkmacht der Bar-Community und warum Alex von der Getränkeindustrie lieber im Juli angerufen werden möchte.  

Bar ohne Namen

Entschlossen verweigert sich Savage, der Bar einen Namen zu geben. Stattdessen sind drei klassische Design-Symbole das Logo der Trinkstätte in Dalston: ein gelbes Quadrat, ein rotes Viereck, ein blauer Kreis. Am meisten wurmt den sympathischen Franzosen dabei, dass es kein Gelbes-Dreieck-Emoji gibt. Das erschwert auf komische Weise die Kommunikation. Der Instagram Account lautet: a_bar_with_shapes-for_a_name und anderenorts tauchen die Begriffe ‘Savage Bar’ oder eben ‚Bauhaus Bar‘ auf.

 

Für den BCB bringt Savage nun sein Barkonzept mit und mixt für uns mit Unterstützung von Russian Standard Vodka an der perfekten Bar dazu.

 

 

 

 

Alex, wo und woran arbeitest du zurzeit?

Ich stehe zwar noch ab und zu hinter der Bar, aber ich habe im Frühling meinen Job als Beverage Director aufgegeben und konzentriere mich zurzeit ganz auf die Organisation G.L.A.S.S. Wir haben sie im Juni 2021 in ein Nonprofit-Unternehmen umgewandelt und wollen nun noch tiefer in die Geschichte queerer Persönlichkeiten in der Bar- und Cocktailgeschichte eintauchen, diese Geschichten weitererzählen. Gleichzeitig wollen wir die Aufmerksamkeit für queere Personen speziell in der Barbranche erhöhen und Ressourcen für sie schaffen. In anderen Bereichen der Hospitality wie der Hotellerie oder der gehobenen Restauration ist es für queere Menschen viel einfacher, erfolgreich oder erst einmal repräsentiert zu sein. In Bars klafft da eine Lücke.

Warum ist das so?

Ein Grund ist sicher, dass über queere Menschen in der Bargeschichte praktisch nie etwas geschrieben wurde, obwohl sie von Anfang an Teil dieser sind. Dieselbe Diskrepanz sehen wir bei Frauen. Dieser Zwiespalt existiert in unserer Branche einfach. Ein anderer ist, dass viele Bars scheinbar von Natur aus straight (heterosexuell, Anm. d. Red.) sind. Warum wird zum Beispiel die Anvil Bar in Houston (in der Negranza lange gearbeitet hat, Anm. d. Red.), in einem schwulen Viertel, an einer Straße, an der jährlich die Parade der Pride Celebration vorbeizieht, als straight angesehen? Bars haben keine ihnen innewohnende Geschlechtlichkeit. Sie haben ja keine sexuelle Beziehung mit einer anderen Bar (lacht). Aber sie haben trotzdem, und das gibt es so in keiner anderen Branche, eine sexuelle Zuschreibung: Es gibt straighte Bars und es gibt schwule bzw. queere Bars. Aber einen schwulen Copyshop oder eine schwule Apotheke gibt es nicht. Ich finde, wir sollten mehr für eine queere Inklusion in der Branche tun. 

Inwieweit ist dieser Aspekt bedeutsam für die Ausübung des Berufs?

Ich werde von Gästen auch heute manchmal noch als faggot („Schwuchtel“) bezeichnet. Niemand sollte mit so einem abwertenden Begriff angesprochen werden, weil heterosexuelle Gäste das Gefühl haben, es sei „ihr Raum“ und sie könnten eine homosexuelle Person in diesem Raum dominieren. Wir haben diese Person damals übrigens nicht rausgeworfen, vielmehr musste ich die Station am Tresen wechseln, damit jemand anderes sie bedient.

Es geht also um Sicherheit.

Ja, und zwar für Mitarbeitende und für Gäste. Im Anvil habe ich regelmäßig die gleichen Schichten gemacht. Du lernst so deine Stammgäste kennen und baust dir eine Community auf. Wenn augenscheinlich queere Gäste zu uns kamen, habe ich mich ihnen stets persönlich vorgestellt und keine Mühen gescheut, damit sie sich sicher fühlen und relaxen können. Viele Bartender*innen werden das kennen: Eine Frau kommt alleine in die Bar. Sie wartet nicht etwa auf eine Begleitung, sondern möchte einfach in Ruhe einen Drink genießen. Man hat dann sofort ein besonderes Auge auf diese Person, weil man um ihre Verletzlichkeit weiß. Wir tun das auch bei BIPOC (Schwarze, Indigene, People of Colour, Anm. d. Red.), damit sie sich in einem Safe space wissen. Sichtbarkeit zu schaffen ist ein wichtiger Aspekt, und wir müssen darüber eine Konversation führen, wie wir das in Bars endlich besser hinbekommen.


Gibt es eine Vorlage dafür?

Es gibt nicht wirklich eine Checkliste, mit der man einen Safe space errichten kann. Die Diskriminierung queerer Menschen ist ein derart komplexes und für viele traumatisches Thema … man muss es für sich selbst entwickeln. Wovon ich indes überzeugt bin: Bartender sind für die Öffentlichkeit, was Lobbyisten für Politiker sind. Wir führen Tag für Tag so viele Gespräche mit Menschen, dass wir die öffentliche Meinung beeinflussen können. Die Wirkmacht der Barcommunity ist groß! Ich weiß, bis dato galt die Regel, an der Bar nicht über Politik und Religion zu sprechen. Aber schauen wir uns die Situation in den USA an: Nach den Abtreibungsrechten geht es nun der gleichgeschlechtlichen Ehe an den Kragen. Wenn wir jetzt nicht beginnen, für unsere Interessen einzustehen, gehen wir in eine dunkle Welt. Bars waren schon immer ein Zufluchtsort. And people need to f***ing drink right now (lacht).

Noch mal zurück zu dem, was du vorhin gesagt hast: straighte vs. schwule Bars. Welche Rolle spielt eigentlich das Interieur in diesem Zusammenhang? Wenn ich an dezidiert schwule Bars in Berlin denke, dann sind sie fast immer ganz anders eingerichtet. 

Das straighte Bardesign ist oft sehr maskulin: Metall, Holz, Stein. Du siehst eher selten weiche Textilien oder Vorhänge, bunte Farben, sanfte Lichtsetzung. Das bewirkt eine bestimmte Stimmung und setzt schon beim ersten Eindruck ein Statement: Dies ist ein heteronormativer Ort. Und nicht ohne Grund setzt sich das Design in schwulen Bars davon ab: Es sagt dir sofort, solltest du zufällig hinein gekommen sein: Du bist hier in einer Gaybar.

Wie kann die Getränkeindustrie unterstützen, die Branche zu verändern?

Eine kleine Anekdote dazu. Einmal kam ein Typ in unsere Bar: „Gib mir den schwulsten Drink, den du hast.“ Ich wusste, der will was Süßes, Tiki, Blumendeko drauf. Ich habe geantwortet: „Das wäre dann ein Bourbon on the Rocks“. Weil: „Ich bin schwul, das trinke ich immer, also ist es für mich der schwulste Drink!“ (lacht). Marken sprechen mich oft so an: „Kannst du für uns einen Cocktail für den Pride Month kreieren?“ Da werde ich ungehalten. „Ihr könnt mich gerne im Juli wieder anfragen!“ Diese Vereinnahmung jedes Jahr, wenn die Firmen ihre Logos austauschen und queere Mitarbeitende ins Rampenlicht stellen, um selbst davon zu profitieren, muss enden. Wir brauchen ganzjährige Unterstützung.

In den Konzernen arbeiten doch oft homosexuelle Menschen – zumal diese bekanntlich überdurchschnittlich gut ausgebildet sind. Da müsste doch ein Gespräch auf Augenhöhe darüber stattfinden können, wie eine sinnvolle Zusammenarbeit aussehen kann.

Das stimmt, doch diese Leute haben oft Vorgesetzte aus einer anderen Generation. Und vor allem vermarkten diese Unternehmen bestimmte Produkte nur in bestimmten Zielgruppen. Da gibt es so genannte „urban specialists“, die nur in „schwarze“ Bars gehen und ihnen stereotypisch schwarze Getränke präsentieren: Cognac, Weinbrand etc. Anderes Beispiel: Ein Unternehmen hatte LGBTQ-Spezialisten-Stellen für den Außendienst geschaffen. Fand ich cool und dachte sogar, ich könnte mich dafür ja mal bewerben. Ein Freund in Seattle, der diesen Job dort machte, berichtete mir jedoch, dass er keinen Zugang zu Premium-Scotch oder hochwertigen Gins bekomme, zu Spezialabfüllungen sowieso nicht. Er durfte mit den Betreibern von Gaybars gar nicht über Premiummarken reden, sondern nur über geflavourte Wodkas oder Spiced Rum. Warum? Weil die Gay-Community eben in eine Schublade gesteckt wird und dann nur entsprechende Marken für sie eingeplant werden. Das ist keine Lösung.

Die junge Generation Z tritt ja in vielen Bereichen aktiv für Veränderung ein, vom Klimaschutz über Waffengesetze bis zur sexuellen Identität. Gibt dir das Zuversicht für eure Ziele?

Ja. Gerade bei den 18- bis 24-Jährigen gibt es in hohem Maße geschlechtliche Nonkonformität, Polyamorie, Bisexualität. Viele sehen sich als queer an. Junge Männer lassen die toxische Männlichkeit hinter sich und wollen offen über ihre Gefühle und Bedürfnisse sprechen können. Die Menschen dieser Generation werden schon in drei, vier Jahren unsere Hauptgäste sein! Wenn sie finden, dass eine Cocktailbar zu heteronormativ und zu maskulin ist, werden sie diese nicht besuchen, um dort ein Date zu haben. Bars müssen mit queerer Repräsentation beginnen, ob sie es nun wollen oder nicht.

Vielen Dank für das Gespräch, Alex.