Umsatz trotz Corona mit dem Bar-Feeling für zu Hause

Wie lassen sich in Zeiten wie diesen online und offline, digital und analog, zu einem hybriden Erlebnisformat für Cocktail-Fans verknüpfen? Der Berliner Gastro-Unternehmer Dustin Render hat für sich einen erfolgreichen Weg gefunden: Mit Tasting-Boxen und wöchentlichen, interaktiven Streams aus der Bar.

Coronakonformes Treffen an der frischen Berliner Luft mit Dustin Render. Er ist Betreiber von drei Bars auf der Torstraße in Mitte: „Sharlie Cheen“, „Emi Wynehouse“ und „Pawn Dot Com“. Drei Bars, alle drei zurzeit geschlossen. Doch nicht ganz: Denn jeden Freitag um 19 Uhr ist zumindest im „Sharlie Cheen“ an der Bar was los. Dann steht Bartender und Geschäftspartner Marius Döring hinter dem Tresen und mixt Drinks, Render sitzt am Tresen und die beiden spielen sich verbal die Bälle zu, fast wie in einer Latenight-Show. Das Ganze wird gestreamt – für ein exklusives, vor den heimischen Laptop-Bildschirmen „zugeschaltetes“ Publikum. Jeder Teilnehmende hat neben dem Link zum Zoom-Call zuvor eine Box zugeschickt bekommen bzw. erworben. Darin befinden sich je nach Box (z.B. gefüllt mit Afterwork-Drinks, drei Cocktails für Rum-Liebhaber und Signature-Drinks) mehrere vorbereitete Mixturen im Vakuum-Beutel, dazu kommen Filler, bereits geschnittene Zesten auf dem Holzspieß, Spirituosen-Kleinflaschen und sogar was zu knabbern ist mit dabei.

„Wie richtige Bargespräche“
In dem rund einstündigen „Call“ werden dann nacheinander die Drinks verkostet, der Barchef erklärt die Idee hinter den Mixturen, und zwischendurch werden auch die Gäste eingebunden – zum Beispiel durch Fragen, ob sie sich an ihren letzten echten Bar-Besuch vor Corona erinnern können. „Nach einer guten Stunde sind wir dann mit dem offiziellen Teil durch, aber wir lassen den Call offen“, erklärt Dustin Render. Denn bis dahin haben sich in den virtuellen Runden meist schon angeregte Gespräche eingestellt, „wie richtige Bargespräche eben“, so Render. Der längste Call sei noch bis zwei Uhr nachts weitergegangen.

Das Konzept kommt an
Begonnen haben Render und Döring mit dieser Kombination aus Boxenversand und optionalem Call im Februar. In den Lockdown-Monaten zuvor hatte man nur Firmenanfragen mit dem Versand von Drinks bedient. „Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht geglaubt, dass das nachhaltig funktionieren würde. Und man hat ja auch nicht abgesehen, wie lange die Gastronomie geschlossen sein wird“, so Render. Je länger nun der Lockdown aber andauert, desto mehr lechze das Publikum nach Unterhaltung, findet der ehemalige Club-Betreiber.

Darum stellte man die Calls, die anfangs förmlich und einem klassischen Tasting, wie man es von (analogen wie digitalen) Branchenveranstaltungen kennt nicht unähnlich, verliefen, schnell auf ein betont lockeres Format um. Wissen vermitteln – was ist ein Milk Punch – aber vor allem Spaß haben, lautet die Devise. „Es ist wirklich sehr spaßig für die Leute“, so Render: Wer sich eine Box bestellt hat und für den Call anmeldet, der bringe in der Regel automatisch die Bereitschaft mit, sich auf das zunächst natürlich etwas ungewöhnliche Erlebnis, analog allein, aber digital verbunden, Drinks zu probieren und mit anderen Menschen in Austausch zu kommen.

Auch Unternehmen nutzen das Angebot, um das Wir-Gefühl nach Wochen und Monaten im Homeoffice zu fördern. „Die beste Personenanzahl sind 15 bis 20. Wir haben es auch schon für eine Firma mit 60 Personen gemacht, dann aber in zwei Räumen à 30 Personen“, erklärt Render.

 

Vier Fünftel der Boxen verlassen das Berliner Stadtgebiet

Das Setup ist überschaubar: Eine Kamera, eine Webcam, Mikrofone, ein Laptop (das man übrigens mit dem Digitalisierungszuschlag aus der Überbrückungshilfe III gefördert bekommen hat), ein Zoom-Premium-Account – viel mehr ist es nicht. „Gedreht“ wird im „Sharlie Cheen“, das „Pawn Dot Com“ ähnelt derzeit, wie so viele Gastronomien, einer Packstation, von hier aus wird die Ware verschickt. Den Verkauf wickelt man über das eigene, zügig erstellte Shopify-Shopsystem ab. Der Versand erfolgt via DHL deutschlandweit.

Rund 30 Boxen pro Woche sind es zurzeit, 80 Prozent davon verlassen die Stadtgrenzen Berlins, sodass man – ähnlich wie das ebenfalls in der Hauptstadt ansässige Gastro-Unternehmen Galander – seinen Radius deutlich hat ausdehnen können. „Wir sind mit den Umsätzen zufrieden“, erklärt der Unternehmer und lässt auch etwas in die Zahlen blicken: Rund ein Viertel des Umsatzes des Vergleichszeitraums 2019 erziele man mit dem Versand, was im Zusammenspiel mit den Überbrückungshilfen dann zu einer wirtschaftlichen Darstellbarkeit führt. Hinzu komme die Unterstützung durch den Industriepartner, in diesem Falle ist es Beam Suntory, in Form von Freiware. Welches als Gegenleistung Visibility und Trials – im Wohnzimmer der Konsumenten – erhält, sowohl in gemixten Drinks als auch durch kleine Goodies wie Mini-Fläschchen. Was zumal in Zeiten, in denen es generell wenig Promotion-Möglichkeiten gibt, nicht uninteressant sein dürfte. „Es ist auch ein super Marketing-Tool“, erklärt Render.

 

Kooperationen mit Medien und Unternehmen für den extra Schub

Das innovative Format hat schon einiges an Presse bekommen, Influencer – auf die man immer schon in der Zusammenarbeit gesetzt hat – posteten ihre Drink-Bilder in ihren Channels: „Es hilft uns, nach so vielen Monaten, die wir jetzt geschlossen sind, in der Wahrnehmung der Gäste zu bleiben.“ Zuletzt bot man im April in Kooperation mit der „Berliner Morgenpost“, die in pandemiefreien Zeiten mit namhaften Restaurants monatliche Menüs für die Leser konzipiert, eine eigene Frühlings-Tastingbox mit Gin-Drinks an – in diesem Fall sogar in der Flasche. Ansonsten setzt man jedoch weiter auf Vakuumbeutel, die sich im Versand bewährt haben: Sie sind leichter, weniger bruchanfällig und garantieren längere Haltbarkeit. Wobei natürlich viele Boxen-Bestellende das flüssige Gut schon im Rahmen des nächsten Online-Calls genießen.

 

„Zwei bis zweieinhalb Schritte sind gut“

Und damit es auch wirklich vor allem ein Genuss ist, ist es aus Renders Sicht wichtig, das richtige Mittelmaß zwischen Vorbereitung und vor-Ort-Zubereitung zu finden: „Die Leute müssen schon was zu tun haben. Es sollte mehr sein, als einfach nur den Drink einzugießen. Aber es darf auch nicht zu viel sein – zwei bis zweieinhalb Schritte sind gut.“ Zum Beispiel: Eis vorbereiten und dazu geben, Zesten andrücken und die Aromen auf dem Glasrand verreiben (ein Handgriff, der Gäste an der Bar bekanntlich immer wieder fasziniert) oder per mitgeliefertem Minizerstäuber Kaffee-Flavour auf den Drink sprühen. Ein bisschen Bartender spielen, ohne dass es in Arbeit ausartet eben.


„Die Gastronomie wird der große Gewinner sein“

Wird man das Format dauerhaft anbieten? Render wägt ab: „B2B ja, weil wir 2021 sicher noch keine Sommerfeste oder Weihnachtsfeiern ohne Masken und Abstand sehen werden. Das ist jedenfalls jenseits meiner Vorstellungskraft. B2C werden wir es parallel erst einmal weiter anbieten, aber ich denke, es wird irgendwann rückläufig sein. Vielleicht sind wir schon im Sommer zumindest wieder in der Normalität des Vorsommers, der für uns gut war.“ So gut sogar, dass man zum ersten Mal mit Türstehern arbeiten musste, um den Andrang und die Auflagen unter einen Hut zu bringen. Und wie sieht jemand, der mit drei Bars natürlich zum Kerngeschäft, Menschen vor Ort glücklich zu machen und mit guten Drinks zu versorgen, die Zukunft? „Ich glaube, dass der große Gewinner langfristig die Gastronomie sein wird. Das wollen die Leute haben: Essen und trinken gehen, die soziale Komponente. Ich bin optimistisch!“

Auf https://pawndotcombar.berlin/ finden sich alle Infos zu den Boxen, den Calls und den virtuellen Afterwork-Events für Unternehmen und andere Gruppen.